Banger Blick nach Kabul

25.8.2009, 00:00 Uhr

Seinen Landsleuten, die trotz des Taliban-Terrors den Mut aufbrachten, zur Wahl zu gehen, zollt Habib Ghamin höchsten Respekt. Die Extremisten hatten angekündigt, Wählern den Finger abzuschneiden und die Drohung in Einzelfällen sogar in die Tat umgesetzt. Der Terror blieb nicht ohne Wirkung; diesmal gaben weitaus weniger Afghanen ihre Stimme ab als bei der Präsidentenwahl 2004, dennoch ist Ghamin zufrieden: «Es war enorm wichtig, dass diese Wahl stattgefunden hat», betont er. Hätten die Taliban die Stimmabgabe verhindert, hätte das fatale Folgen für die junge Demokratie gehabt.

Ghamin besitzt zwar neben der deutschen die afghanische Staatsbürgerschaft, er durfte aber wie viele andere Afghanen, die im Ausland leben, nicht wählen. «Bedauerlich», findet er. 1970 war Habib Ghamin nach Deutschland gekommen. Er heiratete eine deutsche Frau, ihre Kinder wuchsen in Fürth auf, wo er eine Arztpraxis besitzt. Dennoch ist Ghamin dem Land seiner Eltern stark verbunden. Wie berichtet, reist er regelmäßig nach Kabul, um schwer verletzte Kinder nach Deutschland zu bringen, wo sie eine Versorgung erhalten, die in Afghanistan nicht möglich ist.

Über die Wahlen hält er sich dank unabhängiger TV-Sender, die auch in Europa zu empfangen sind, sowie über Telefonate mit Freunden in Kabul auf dem Laufenden. Lange Schlangen vor den Wahllokalen wie noch 2004 habe es nur selten gegeben.

Auch die Vorwürfe internationaler Beobachter, dass es zu etlichen «Unregelmäßigkeiten» gekommen sei, kennt Ghamin zu Genüge. Sollte sich herausstellen, dass die Manipulationen zu große Ausmaße annehmen, plädiert er an die Internationale Gemeinschaft, sich für Neuwahlen einzusetzen.

Karsais Vetternwirtschaft

Der Mediziner hätte im Übrigen nichts dagegen, sollte die noch andauernde Stimmenauszählung eine Abwahl von Amtsinhaber Karsai ergeben. Ihm wirft er Vetternwirtschaft vor, außerdem habe er das Land nicht vorangebracht. «Wenn wir so weitermachen, sehe ich schwarz», sagt Ghamin. Es mangele an Wohnungen, Arbeitsplätzen und Lebensmitteln. Die medizinische Versorgung sei schlecht, die Sicherheitslage prekär.

Auch die Internationale Gemeinschaft müsse ihr Vorgehen ändern und «gemeinsam einen Plan ausarbeiten, wie man dem Land unter Berücksichtigung von Tradition und Sitten» wieder auf die Beine helfen kann. Dazu zählt Ghamin vor allem den zivilen Aufbau. Er schätzt, dass Afghanistan noch fünf bis zehn Jahre auf ausländischen Schutz angewiesen ist.

Christian Schmidt, Staatssekretär im Verteidigungsministerium, geht ebenfalls davon aus, dass sich das Ausland - folglich auch Deutschland - noch länger in Afghanistan engagieren muss. Ein sofortiger Abzug würde «zu Chaos, zu einer Explosion» führen, die ihm zufolge auch die benachbarte Atommacht Pakistan in die Hände der Taliban bringen könnte.

Schmidt besuchte Afghanistan bereits fünf Mal, zuletzt Anfang Juli die Bundeswehr und das Wiederaufbauteam in Kundus sowie die Polizeischule in Kabul. Deutschland sei mit seinem Engagement Vorreiter, andere europäische Nationen müssten nachziehen. Wie Ghamin bewundert Schmidt den Mut der Wähler. Angesichts der Drohungen der Taliban schätzt er die Wahlbeteiligung als gut ein. Die Fälle von Manipulation seien nicht so gravierend, dass sie das Ergebnis verfälschen würden.

Und was hält der Politiker von Präsident Karsai? Schmidt äußert sich zurückhaltend. «Wir können», sagt er, «mit allen Kandidaten leben». Die Zusammenarbeit mit Afghanistan sei nicht allein an die Person Karsai geknüpft. Dessen vier Amtsjahre bezeichnet Schmidt als Mischung aus erfolgreichen Ansätzen und unerfüllten Erwartungen. Vetternwirtschaft und Korruption seien problematisch.

Der künftige Präsident müsse einen Zahn zulegen, um Arbeits- und Ausbildungsplätze zu schaffen, die Infrastruktur und die Sicherheit zu verbessern. «Wir brauchen sichtbare Erfolge», fordert der Staatssekretär. Nur so könne man die Taliban in die Schranken weisen.