Behandlungspflege: Senioren und Pflegedienste atmen auf

1.8.2019, 06:00 Uhr
Behandlungspflege: Senioren und Pflegedienste atmen auf

© Nicole Gunkel

Bis auf Weiteres übernimmt die Krankenkasse die Kosten für einfache medizinische Behandlungspflege wie das An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen, Blutzucker- Messungen oder Medikamentengabe bei Menschen in ambulant betreuten WGs wieder.

Wie wiederholt berichtet, hatte die Krankenkasse Bewohnern solcher Wohngemeinschaften die Behandlungspflege gestrichen, wovon auch zwei WGs unter dem Dach des Cadolzburger Wohltätigkeitsvereins sowie Gruppen in Langenzenn, Wilhermsdorf und Oberasbach betroffen waren. Nach ersten Sozialgerichts-Urteilen, unter anderem in Bayreuth, Nürnberg, Landshut und Schweinfurt, die einmal der Kasse, dann wieder den Klägern Recht gaben, ist die AOK Bayern jetzt zurückgerudert.

Höchstrichterlich zu entscheiden

Grundsätzlich ist die AOK der Auffassung, dass die monatliche Pauschale in Höhe von 214 Euro, die die Pflegekasse an Wohngruppen für Präsenzkräfte überweist, auch einfache Tätigkeiten der Behandlungspflege abdeckt. Wie bei der Pflege im häuslichen Umfeld, in dem Angehörige diese Aufgabe abdecken, sollte das in Wohngemeinschaften auch von den Betreuungskräften übernommen werden können. Kritiker wie Birgit Bayer-Tersch sehen das anders: Das widerspreche allen Auflagen, dass derlei von examinierten Fachkräften zu erledigen sei.

Die AOK betont, dass sie neue Versorgungsformen wie ambulante Wohngruppen "grundsätzlich begrüßt". Der Streit um die Finanzierung der Behandlungspflege sei jedoch ein Beispiel dafür, dass die vorhandenen Regelungen auf die weiterentwickelten Versorgungsstrukturen nicht mehr anwendbar sind. Weshalb die AOK eine höchstrichterliche Entscheidung anstrebt.

Der sieht Bayer-Tersch nun gelassen entgegen. Sie zeigt sich rückblickend begeistert davon, "wie alle Betroffenen an einem Strang gezogen haben. Da sind Menschen mit auf die Straße gegangen, die ihr ganzes Leben noch auf keiner Demo waren", erinnert sie an den Protestzug zur AOK-Geschäftsstelle in Neustadt. Erleichtert gibt sie sich auch, dass die ambulanten Pflegedienste nun "wieder in Ruhe weiterarbeiten können. Sie hätten diese Situation nicht lange durchgehalten", so Bayer-Tersch. Der Diakoniestation unter dem Dach des Cadolzburger Wohltätigkeitsvereins fehlten im Monat mehrere Tausend Euro.

Die Interessenvertretung von Pflegediensten in der Region, die sich aus Protest gegen die Genehmigungspraxis der AOK gegründet hat, hatte bereits die Sorge geäußert, dass die AOK einen Testballon starten wollte, "um die gesamte häusliche Behandlungspflege in die Pflegeversicherung zu verschieben". Die ambulante Pflege ist eine Leistung der Krankenkasse, das heißt, alle Kosten werden übernommen. In der Pflegeversicherung dagegen erstatten die Kassen nur Pauschalen. Soweit das die Behandlungspflege in einer ambulant betreuten WG betrifft, kann dieser Unterschied einen Eigenanteil von über 1000 Euro für den einzelnen ausmachen.

Unklar war zunächst, ob das Einlenken der AOK auch für zurückliegende ablehnende Bescheide gilt. Schließlich hat die Krankenkasse die Behandlungspflege bereits seit dem vierten Quartal 2018 gestrichen. Bayer-Tersch hat das in Rücksprache mit der AOK-Geschäftsstelle Neustadt geklärt. Betroffene müssen für jedes Quartal seit Oktober 2018 einen Antrag "auf Neubescheidung", stellen, worauf sie die ausgebliebenen Zahlungen erstattet bekommen. Allerdings gilt das nicht für die Versicherten, die ins Widerspruchsverfahren gingen. Ihre Akten bleiben liegen, bis im Hauptverfahren entschieden ist. Am Landessozialgericht in München sind noch drei "ausgewählte Musterverfahren" anhängig.

Unschärfen in gesetzlichen Vorgaben

Als höchst erfreulich goutiert auch Carsten Träger, SPD-Bundestagsabgeordneter aus Fürth, das Zugeständnis der AOK. Ein sehr gut besuchtes Diskussionsforum zum Thema "Herausforderung Pflege" erst vergangene Woche in Seukendorf, habe ihm einmal mehr deutlich gemacht, "wie sehr das Thema die Menschen berührt. Wer auf Pflege angewiesen ist oder Angehörige hat, die gepflegt werden, braucht Sicherheit. Die den Bewohnern betreuter Wohngruppen aufgezwungenen Kosten haben viele Bewohner an die Grenze ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit gebracht, manche mussten sogar ausziehen", so Träger.

Allerdings mache die Auseinandersetzung klar, dass es in den gesetzlich vorgegebenen Strukturen zwischen Kranken- und Pflegeversicherung Unschärfen gibt, die solchen neuen Wohnformen nicht mehr gerecht würden. Dabei seien diese kleinen, selbstständig von Bewohnern und ihren Angehörigen organisierten Wohneinheiten ein Modell, das gerade im ländlichen Raum verstärkt Verbreitung finden könnte. Umso wichtiger sei es, Unklarheiten in der Gesetzgebung zu beseitigen, so Träger.

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