Beschaulich bis bizarr: Roßtals Freilichtgalerie

2.7.2018, 12:00 Uhr

Man muss nicht die Akademie der bildenden Künste besucht haben, um sich als Künstler zu begreifen. Das kann man auch als Autodidakt, als Rentner oder als Software-Ingenieur. Einer wie Wolfgang Stegherr vermerkt sogar explizit die Stationen seines Scheiterns auf seinem ästhetischen Profil: "Aus der Bundeswehr geflogen, das Studium geschmissen."

Gute Ausgangsbasis für aberwitzige Foto-Inszenierungen im Abwrack-Ambiente mit Tante Klothildes Abendgarderobe und dem von Rock’n’Roll geformten Knittergesicht des Künstlers "Supersteech". Dass er sein Atelier in einem Kuhstall eingerichtet hat, glaubt man gern, dass seine Bilder aber nicht in einem Berliner Hinterhof, sondern in einer zweckentfremdeten Bäckerei in einem Provinzdorf hängen – ja, das setzt dem Ganzen das Sahnehäubchen auf. Stegherrs Inszenierungen ragen in ihrer Bizarrheit heraus aus dem sonst eher beschaulichen Angebot der "Roßtaler Kunstorte".

Ebenfalls kurios nimmt sich Reinhard Erbes’ Garderobe aus. Sämtliche Hemden baumeln am Kleiderhaken oder liegen auf einem Podest, wobei der Stoff über der Kante herabhängt. Bloß anziehen kann man die schönen beigen Hemden nicht, denn sie sind allesamt aus Holz geschnitzt oder aus Marmor gemeißelt. Oder als Wäschestapel gemalt und in einen Kasten gesteckt. Ihr Anblick mutet wie der Blick in den Kleiderschrank an.

Margit Langenbergers leuchtende Acrylkompositionen bringen in ihrer quasisakralen Geometrik und Symbolik frischen Wind in die Roßtaler Kirche, während Susanne Molters’ kühle Naturgemälde mit Meer und Nebel von der Atmosphäre in der nicht minder kühlen Krypta profitieren.

Und wie ein Text in Gestalt verschiedenartiger Schriften ästhetisch hinzugewinnt, demonstriert der Ingenieur und Kalligraph Jochen Steiner. Da stehen karolingische Minuskeln neben Unzialen, die Rotunda neben der humanistischen Kursive, aus der sich wiederum die lateinische Schreibschrift entwickelt hat, die wir alle in der Schule gelernt haben. Und die im Zeitalter der Digitalisierung verloren zu gehen droht. Nieder mit dem Knöpfchendruck, es lebe der Federschwung!

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