Brüderliches Miteinander im Stadttheater Fürth

5.5.2017, 20:30 Uhr
Brüderliches Miteinander im Stadttheater Fürth

© Foto: Nathalie Sternalski

Der Anfang ist mystisch. Im Dämmerlicht der Bühne lassen sich allenfalls Schemen erkennen. Geduckte Leiber, die sich langsam entfalten. Ein zögerliches Herantasten an Schrittfolgen beginnt, einem Erwachen gleich. Mit der zunehmenden Helligkeit gewinnen die Männer auf der Bühne an Kraft. Als fügten sie sich einem archaischen Ritual, verfallen sie in Bewegungsmuster, die unumstößlichen Regeln zu folgen scheinen.

Was in den nächsten 60 Minuten geschieht, ist ziemlich beispiellos. Die Männer verlieren sich in einem Tanz, der Vorbilder erahnen lässt, aber keine eindeutige Zuordnung erlaubt. Was Choreograf Hervé Koubi für seine Compagnie entworfen hat, ist ein Ineinanderfließen von Ideen und Ausdrucksformen, manche so alt wie es Menschen gibt, die tanzen. Andere sind jung, erinnern an die Ästhetik von Musikvideos.

Die 16 Tänzer sind auffallend muskulös und athletisch. Sie stammen aus Algerien und Burkina Faso, keiner hat eine herkömmliche Ballett-Laufbahn absolviert. Stattdessen haben die meisten ihre Kunst auf der Straße beim HipHop gelernt. Guillaume Gabriel, der seit Jahren eng mit Koubi zusammenarbeitet, hat für sie Kostüme entworfen, die lediglich aus engen Hosen und darüber gelegten weiten Röcken bestehen. Ein Outfit, das bei den kraftstrotzenden Salti nicht stört und bei den extremen Pirouetten – gerne auch auf dem Kopf – an den Auftritt von Derwischen gemahnt.

An diesem Punkt drängt sich der poetische Titel des Tanzabends in den Mittelpunkt. "Die Schuld des Tages an die Nacht" fußt auf dem Roman gleichen Namens von Yasmina Khadra. Hinter dem Pseudonym steckt der im französischen Exil lebende algerische Schriftsteller Mohammed Moulessehoul. Sein Buch setzt sich mit der leidvollen Geschichte auseinander, die das algerisch-französische Verhältnis bis heute prägt. Eine Vergangenheit, die auch Hervé Koubis Leben berührt.

Noch bevor sich der Vorhang hob, stellte sich der schmale Mann im Stadttheater vor sein Publikum und erklärte seine Mission. Erst als Erwachsener habe er erfahren, dass seine Familie aus Algerien stammt. Zuvor habe er, der in Cannes zur Welt kam und aufwuchs, sich niemals irgendwelche Gedanken über seine Vorfahren gemacht. Die Erkenntnis sei "ein Schock" gewesen. Eine Erschütterung, die sich nur mit dem Wissen um die Folgen von Kolonialzeit und Krieg begreifen lässt.

Verständlich also, dass die Auseinandersetzung mit seinen Wurzeln und die Arbeit mit den nordafrikanischen Tänzern ("Ich habe Brüder gefunden") für Koubi eine ganz persönliche Angelegenheit war. Doch das Kunststück liegt darin, dass sein Tanzabend weit über Privates hinausgeht. Ihm gelingt es, eine Vision zu entwerfen von einem Miteinander in Einigkeit und Vertrauen.

Dafür stehen nicht zuletzt die Tänzer, die mit Gesten Fürsorge in der Gemeinschaft bekunden. Das ist nicht aufdringlich oder demonstrativ, sondern geschieht mit großer Selbstverständlichkeit. Eine Haltung, die einhergeht mit einem ebenso unaufdringlichen, aber deutlichen Selbstbewusstsein.

Getragen wird das von einem musikalischen Mashup, das mühelos Genres vereint, die auf Anhieb wenig verbindet. Umso erstaunlicher wie unkompliziert Chöre aus Bach-Passionen sich mit traditionellen Sufi-Klängen vereinen können. Die Spiritualität der Tanzenden erscheint dabei mit einem Mal universell und grenzenlos.

Was für ein Programm für die Zukunft.

Weitere Termine: heute, Samstag und Sonntag (jeweils 19.30 Uhr), Stadttheater. Wenige Restkarten an der Abendkasse.

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