Das Glück des Auftritts

6.5.2014, 13:25 Uhr
Das Glück des Auftritts

© NN

Klopf, klopf an der Tür. „Du, Werner, ich hab da so eine Idee. . .“ So formuliert Jutta Czurda die erste Aussaat ihres zarten Pflänzchens „Brückenbau“ im Theater-Blumentopf des Intendanten Werner Müller. Die Idee: Interessierte, aber bis dato vom Theater unbeleckte Bürger sollten als Laien unter der Anleitung von Profis auf die Bühne treten und sich ausprobieren.

Dass das Pflänzchen mit seinen Trieben Community Dance, Werkstätten, Workshops und Bühnenproduktionen derart gut gedeihen und mittlerweile Ableger in Dresden, Karlsruhe und Mannheim hervorbringen sollte, hätte vor fünf Jahren niemand gedacht. Zahlreiche Video-Einspielungen aus den Tanz- und Theaterprojekten zeugten auch am Sonntag von der Begeisterung aller Mitwirkenden.

Über die Resonanz staunen sowohl die Profis Jutta Czurda, Michaela Domes und Jean Renshaw, wie auch die Amateure. Die Betonung in deren Erfahrungsberichten liegt dabei nicht allein auf dem Spaßfaktor, sondern auf der Grenzüberschreitung, auf der beglückenden Erfahrung des Selbstexperiments und der Ausweitung der eigenen Möglichkeiten. „Profis wie Laien machen dieselben Erfahrungen“, beobachtet etwa Czurda, „sie bibbern vor der Vorstellung, schlafen die Nacht davor nicht und schieben den Premierenblues. Aber die Laien sind ausdrücklich stärker miteinander verbandelt als Profi-Ensembles, die sich nach den Vorstellungen wieder auflösen.“

Wahnsinnige Euphorie

Die Laien drücken es so aus: „Ich erfahre das Theaterspiel als Bereicherung meines Alltags, einmal kann ich mich wie eine Diva fühlen“, erklärt die Gestalttherapeutin Ulrike Eller. Der Klinikseelsorger Ekkehard Fugmann schwärmt: „Es war so ein Glück, endlich in dem Land anzukommen, von dem ich immer geträumt hatte. Ich spielte zwar nur eine kleine Rolle, genoss aber eine wahnsinnige Euphorie. Disziplin und Freude ergaben einen Flow, ein beglückendes Gesamterlebnis. Dazu kam das Gefühl: Da hat mich jemand gesehen, hat etwas entdeckt, mit dem man etwas anfangen kann.“

Eben diese Entdeckung eines schlummernden Talents sowie die Resonanz innerhalb der Gruppe beförderten eine Hochstimmung, die bis dato unerfahrene Laien wie etwa die geschassten Quelle-Mitarbeiter zu Höchstleistungen antrieb. Einer dieser zornigen Quelle-Mimen erfuhr seine Mitwirkung als „eine Brücke von einem emotionalen Ausnahmezustand negativer Art in einen emotionalen Ausnahmezustand positiver Art. Das Spielen hat mich in meiner Arbeitslosigkeit aufgefangen. Und es hat mich zum Schreiben angeregt."

Bürgertheater als therapeutische Maßnahme? Für den Theaterpädagogen Johannes Beissel, der sich als „ewigen Weltverbesserer“ sieht, viel mehr als das. Nämlich Farbe bekennen und Stellung beziehen: „Als Quelle im November 2009 Insolvenz anmeldete, konnten wir in dieser Situation nicht ein Tempel der Hochkultur bleiben.“

Also Freisetzung von Glücksgefühlen, Selbsterfahrung und -erweiterung sowie knallharte Kritik an Kapitalismus und Klassenkampf. Oder schwingt da noch mehr mit? Warum finden mittlerweile andere Theater Gefallen am „Brückenbau“ Fürther Art? Der Soziologe Gerhard Schulze spekuliert über das Glück des Auftritts nicht als das angestrebte Ziel des Schauspielers, sondern als eine höchst angenehme Begleiterscheinung während der Arbeit am Stück und an sich selbst. Sozusagen als der Lohn, den die Arbeit in sich trägt. Schauspielerin Michaela Domes sieht das Glück im „Brückenbau“ als „die Freiheit, nicht funktionieren zu müssen. Stets wird in der Gesellschaft das Weitervorankommen angesagt, bei uns aber nicht. Bei uns wird alles positiv bewertet. Ich wünsche mir, dass davon einiges in die Gesellschaft, die sich so eigentümlich perfektioniert, zurückschwappt.“

Wille, Können, Potential sind also da. Der Rest ist eine Frage des lieben Geldes. Intendant Werner Müller sieht die Sache pragmatisch: „Dies ist eine öffentliche Angelegenheit, da sollte sich auch die öffentliche Hand dazu bekennen.“ Und dann ist da noch die Frage nach dem Namen. Eine Zuhörerin kann mit dem Begriff „Bürgertheater“ nichts anfangen, sie sieht den Begriff „Bürger“ negativ besetzt. In Szenekreisen kursiert übrigens auch der Begriff „partizipatorisches Theater“. Aber ob Mimen wie Zuschauer sich davon angesprochen fühlen?

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