Das Kind, die Krippe und Willi, das Kamel

24.12.2010, 13:00 Uhr
Das Kind, die Krippe und Willi, das Kamel

© Hans-Joachim Winckler

Vorsichtig zupft Maria den blauen Schleier, den sie über ihre blonden Haare gelegt hat, zurecht. Dann hakt sie sich bei Josef ein und bedächtigen Schritts wandern die beiden auf dem langen Mittelgang durchs Kirchenschiff. Zum dritten Mal an diesem Nachmittag. Wenn am Heiligen Abend um 15 Uhr das Krippenspiel in St. Michael aufgeführt wird, dann liegen viele Stunden geduldiger Probenarbeit hinter allen Beteiligten. Die Begeisterung schmälert das nicht. Im Gegenteil.

„Ich hab’ schon mal einen Wirt gespielt und danach einen König, dieses Jahr wollte ich so gerne die Maria werden, das ist das Beste“, strahlt Sophia (9). „Aber dann hat es an Jungs gemangelt, deshalb bin ich der Josef“, erklärt Vivien (11) genauso vergnügt. Und natürlich ist die Vorfreude bei beiden groß: „Nach dem Gottesdienst hier werden wir heimgehen und auf die Bescherung warten“, verrät Sophia. „Ich wünsche mir ja immer einen Hasen und ein Pferd, aber ich denke, das wird wohl nix“, schätzt die Neunjährige realistisch ein.

Klar, auch Vivien wird von ihrer Familie begleitet, wenn sie Josefs Wanderstab zur Hand nimmt, um mit Maria einen Platz in einer Herberge zu suchen. „Zu Hause essen wir später Weißwürste, das machen wir jedes Jahr. Und bevor es die Geschenke gibt, reden wir darüber, was das vergangene Jahr so gebracht hat.“ Später werden dann noch ein Glas Milch und Kekse bereitgestellt, für den Fall, dass sich der Weihnachtsmann in dieser arbeitsamen Nacht stärken muss: „Das machen wir wegen meinem kleinen Bruder“, erklärt Vivien verständnisvoll. Sophia nickt: „Ich glaube ans Christkind.“

Mittlerweile steht Niklas bereit. Unter der Kanzel kündet eine liebevoll gemalte Kulisse davon, dass sich hier jetzt das „Gasthaus zum Ochsen“ befindet. Niklas ist der Wirt, er macht seine Sache überzeugend. „Nein“, ruft er und stemmt seine Hände in die Hüften: „Nein, hier ist kein Platz für euch.“ Sobald er heute seine große Wirtsschürze abgelegt hat, erzählt der Siebenjährige, wird er es eilig haben: „Ich will gucken, ob im Wohnzimmer der Vorhang weg ist.“ Sollte dem so sein, dann dürfen Weihnachtsbaum und Geschenke bewundert werden: „Ich habe mir ein gesteuertes Auto gewünscht“, sagt Niklas.

Tobias hat seine Lieblingsrolle gefunden: „Ich bin ein Hirte und bewache die Schafe“, macht der Achtjährige klar, rückt seine Fellweste zurecht und schultert ein Mini-Schaf, das seine Herde darstellt. „Das ist so toll, weil ich das voriges Jahr auch gemacht habe. Deshalb kann ich den Text und alles noch.“ Sophie (5) trägt einen glitzernden Stern auf ihrem Stirnband: „Ich bin ein Engel und passe von oben im Himmel auf die Leute auf.“

Drei Wochen Probe

Ein Rumpeln lässt die Ankunft der Heiligen Drei Könige erahnen. Caroline (8) spielt den Melchior: „Der kommt aus Afrika und hat ein bisschen braune Haut. Ich finde das schön.“ Behutsam schiebt sie ein großes Kamel auf Rollen in den Stall vor den Altar, wo Josef und Maria warten: „Das Kamel hat die Marlena aus dem Kindergarten gebaut. Wir nennen es Willi.“ Seit Anfang Dezember hat Martina Dieret — unterstützt von fünf fleißigen Kolleginnen — mit den 15 Kindern aus der Gemeinde geprobt, Kulissen und Kostüme zusammengetragen. Konrad Veit, seit rund einem halben Jahrhundert ehrenamtlicher Mitarbeiter in der Gemeinde, ist immer mit Tipps und Ideen für die Lichtregie dabei. 39 Jahre lang hat der 76-Jährige das Krippenspiel alleine organisiert. Zum Jubiläum hat er Verstärkung geholt: „Die Martina Dieret war als Kind bei mir die Maria“, schmunzelt er.

Noch ist die große Krippe leer, vor der Sophia, die Maria 2010, sitzt. Heute Nachmittag wird das anders sein. Nicola (6), die mit ihrer Zwillingsschwester Elena zu den „himmlischen Heerscharen“ gehört, wird Lena mitbringen. Ihre Babypuppe. Gewickelt in Mullwindeln natürlich.

Und dann werden in St. Michael Sophia, Vivien, Niklas, Tobias und all die anderen die Geschichte vom Kind in der Krippe, die schon so oft erzählt wurde, aufführen. Und ganz sicher werden sie auf ein Neues jedermann verzaubern.