Das kleine große Glück in Großhabersdorf

10.5.2019, 21:00 Uhr
Das kleine große Glück in Großhabersdorf

© Archivfoto: Juliane Pröll

Nikolaus Roth ist 1939 im Biberttal geboren und hat sein Dorf bis zu seinem 13. Lebensjahr – damals fuhr der Lehrer mit seiner Klasse nach Memmingen – nie verlassen. Vier Geschwister hatte Nikolaus, sein Vater arbeitete in Nürnberg, die Mutter war Magd auf einem Hof und das Geld war knapp. Ein Familienausflug ins große Nürnberg? Nein, das war nicht drin.

Das kleine große Glück in Großhabersdorf

© Thomas Scherer

Dennoch: "Wir hatten die schönste Kindheit, die man sich heute nicht mehr vorstellen kann." Notenstress, stundenlanges Lernen, nervige Fahrten im Schulbus, das gab es nicht. Facettenreich kann Nikolaus Roth aus den 1950er und 60er Jahren erzählen.

"Wir sind von der Schule heimgekommen, haben unsere Sachen in die Ecke geschmissen und waren den ganzen Tag unterwegs. Im Sommer barfuß über Wiesen und im Wald." Ja, muss er einräumen, damals gab es in der Schule noch die Prügelstrafe und die Lehrer waren streng. Auf der anderen Seite wiegen in der Erinnerung die herrlich langen Sommertage auf einer Sandbank an der Bibert oder im Freibad schwerer.

"Da ist Zusammenhalt entstanden", berichtet der heute 80-Jährige. Überhaupt sei die Dorfgemeinschaft stark gewesen. Wenn es etwas zu tun gab, dann packten alle an.

Zu tun gab es in den 50er Jahren eine Menge. Die Häuser hatten nicht nur keine Hausnummern, sondern auch weder Wasser- noch Kanalanschluss. Die Straßen waren unbefestigt.

Vom Schulbuben Nikolaus ist ein Ausspruch überliefert: "Großhabersdorf fängt da an, wo der Dreck ist." Für ihn war das eine Lagebeschreibung seines Dorfes, denn die asphaltierte Straße hörte kurz vor dem Ort auf. Der Fortschritt kehrte 1958 ein, als für alle Haushalte der Wasser- und Kanalanschluss kam.

Sogenannte Hand- und Spanndienste halfen, die Kosten möglichst niedrig zu halten. Die Bürger rückten zu Arbeitseinsätzen aus, schaufelten Gräben und verlegten Rohre in ihrer Freizeit. Wie jeder Fortschritt gefiel auch dieser nicht allen, denn zuvor hatte jedes Haus seinen eigenen Brunnen und musste für sein Trinkwasser nichts bezahlen. Nach der Qualität wurde nicht immer gefragt.

Zu Schaufel und Pickel griffen die Großhabersdorfer auch, als es um die Befestigung der Straßen ging. Ob Schmied oder Bauer, Fabrikarbeiter oder Gastwirt – alle packten an. Das war auch bei der Gründung des Sportvereins so. Die Gemeinde kaufte dafür ein Stück Wald, um den Sportplatz anzulegen. Gute Beziehungen zu den US-Amerikanern halfen in den 50er Jahren. So rollten die Soldaten mit großen Raupen an, um das zuvor von den Großhabersdorfern gerodete Gelände zu planieren.

Vorfreude auf die Kärwa

Unumstrittener Jahreshöhepunkt in dieser arbeitsreichen Zeit war die Kirchweih. Die noch wenigen kostbaren Urlaubstage wurden auf die Kärwazeit gelegt. Das Bier floss aus den Zapfhähnen der damals noch fünf Gaststätten, die zumeist angegliederten Metzgereien boten Schlachtschüssel und frische Bratwurst an.

Bis heute hat es sich erhalten, dass die Großhabersdorfer Kirchweih am Montag am besten besucht ist. "Da ist das Zelt brechend voll", berichtet der Senior, der dann natürlich auch mit Jung und Alt auf der Bierbank zu finden ist.

Früher, als es noch kein Zelt gab, sondern nur in den Wirtschaften gefeiert wurde, war der Tanz am Kirchweihmontag die ideale Gelegenheit, mit dem anderen Geschlecht anzubandeln. Doch Vorsicht, wenn das Mädchen aus einem anderen Dorf stammte. So war das nämlich in Nikolaus Roths Fall: "Da war eine Auslöse fällig, sonst gab es eine böse Schlägerei." Nikolaus ließ für seine Angebetete erst mal zehn Maß auf den Tisch der Burschen aus dem Nachbarort stellen, um den Frieden zu wahren.

Nach der Eingemeindung der kleineren Dörfer Unterschlauersbach oder Fernabrünst in den 1970ern wuchs die Gemeinde und damit auch die Zahl der Vereine: 77 gab es einst. Heute sind es deutlich weniger, manche existieren nur noch im Dämmerschlaf.

Nikolaus Roth ist allein in elf von ihnen Mitglied. Viele hat er jahrelang als Vorsitzender geführt. Er war 16 Jahre oberster Kärwabursch’, Feuerwehrkommandant und heute noch ist er der Vorsitzende des Geflügelzuchtvereins.

Ist Großhabersdorf noch ein Dorf? "Irgendwie schon und irgendwie auch nicht." Dem Urgestein fällt die Antwort schwer. Wenn er von der Kirche über das Tal blickt, dann vermisst er Felder und Wiesen: "Es ist alles zugebaut." Früher konnte er von jedem Acker sagen, wem er gehörte, doch heute wissen viele nicht einmal mehr, wer zwei Häuser weiter wohnt. "Die Gemeinschaft, die hat nachgelassen" – in Nikolaus Roths immer noch schönem Dorf. 

Mehr zur Dorfgeschichte:

Der Papst hieß Alexander. Der Staufer Friedrich Barbarossa war Kaiser und ließ seinen Sohn Heinrich zum Deutschen König krönen. Der spätere Dichter Wolfram von Eschenbach war gerade mal neun Jahre alt. Im Jahr 1069, vor stolzen 850 Jahren, wurde Großhabersdorf zum ersten Mal urkundlich erwähnt.

Im Biberttal lebten schon viel länger Menschen. So wurden bei Fernabrünst bei archäologischen Ausgrabungen Spuren von menschlicher Besiedlung entdeckt, die auf die Jahre 700 bis 800 vor Christus zurückgehen.

Der Ortsname Großhabersdorf begründet sich aus dem Geschlechternamen Hadeward, die einst hier Lehnherren waren. Viele Jahrhunderte gehörten das Dorf und seine Felder, Wiesen und Wälder der Diözese Eichstätt. Die Bischöfe vergaben das Lehen an ihre Gefolgsleute. Um 810 war es vermutlich der Mittelpunkt der Klostermark Herrieden. Die Menschen lebten von der Landwirtschaft, zwischen Weilern und Wiesen, Äckern und Mühlen.

Schriftliche Aufzeichnungen gibt es über Jahrhunderte hinweg kaum. Dokumentiert ist aber die Katastrophe des Dreißigjährigen Krieges: 1632 fielen Soldaten über die 44 Anwesen her und brandschatzten sie, nur elf Häuser blieben stehen. Wie viele Menschen zu Tode kamen, weiß niemand.

Es dauerte lange, bis sich die Region und damit auch das Dorf von den Kriegsfolgen erholten. Kurz gehörte die Ortschaft mal zu Preußen, ab 1806 zum Königreich Bayern.

Aus dem Jahr 1895 weiß man, dass es 63 Bauern im Ort gab, 73 Handwerker und 43 Tagelöhner. Frauen und Kinder waren damals nicht erfasst worden.

Den Aufschwung brachte die Bibertbahn, die den Ort 1914 an die Welt anschloss. Erstmals konnten Menschen dort wohnen bleiben und gleichzeitig in den Fabriken der aufstrebenden Industriestadt Nürnberg arbeiten: die ersten Pendler. Die Bauern sahen das nicht gern, denn sie fürchteten um ihre Arbeitskräfte.

1940 hatte der Ort knapp über tausend Einwohner, heute leben dort mehr als 4000 Menschen, was allerdings auch eine Folge der Eingemeindungen aus den 1970er Jahren ist.

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