Der unheimliche Massencharakter

28.6.2016, 14:00 Uhr
Der unheimliche Massencharakter

© Foto: Hans-Joachim Winckler

„Hans? Wurst?“ heißt Wolkersdorfers Ausstellung von Ölgemälden auf Leinwand in der Kofferfabrik. Wie der Titel schon andeutet, besteht die Ausstellung aus zwei Teilen. Der erste Teil beschäftigt sich mit Lebensmitteln, der zweite mit Portraits von Menschen und Möbeln. Beides weist in der Malerei eine lange Tradition auf. Speziell die holländischen Maler des 17. Jahrhunderts trieben die Kunst des Stilllebens in fotorealistischer Manier zur Perfektion. Ein Willem Calf malte Früchte, Fasane und Weintrauben zum Fressen realistisch, wie ein Korkenzieher windet sich die Schale der halbgeschälten Zitrone nach unten, und die Karaffe Weißwein glitzert mit Lichtreflexen.

Bei Antje Wolkersdorfer glitzern die Lichter auch. Nämlich total künstlich. Wo die alten Holländer auf den Spezereimarkt gingen, räumt die Malerin das Supermarktregal ab und präsentiert Wurst, Schweinshaxe, Tomaten, Austernpilze oder Süßigkeiten in Klarsichtfolie und Verpackung. Das erleichtert zum einen das Vorgehen, schließlich kann sich Wolkersdorfer dank Kühlschrank und Konservierungsmittel mehr Zeit lassen als ihre malerischen Vorfahren, erschwert aber auch ihre Kunst. Denn wie malt man die durchsichtige hautenganliegende Frischhaltefolie?

Entsprechend künstlich, ja unecht wirken die Farben, die Tomaten immer eine Spur zu rot, um natürlich zu sein, das Fleisch mutet mit seiner synthetischen Rosigkeit unheimlich an. Und immer wieder sind da kleine Glanzlichter, die da eigentlich nicht hingehören - aber sie zeugen von der Klarsichthülle, betonen den Massencharakter der Ware Nahrung, berauben das Essen seines urtümlichen Genusspotentials. Spätestens bei den weißen Schaummäusen - einer Leckerei ähnlich der Gummibärchen - winkt der Betrachter dankend ab. Heute Fastentag!

Intime Einblicke

Zu den Unbegreiflichkeiten des Internets gehört die (Selbst)Zurschaustellung von Personen, die aus welchen Gründen auch immer intime Einblicke für jedermann zugänglich machen. Manch junger Erwachsener bereut es zutiefst, Bilder eines feuchtfröhlichen Abends ins Netz gestellt zu haben. Aus der Flut dieser Bilder hat Antje Wolkersdorfer ein paar besonders merkwürdige Exemplare ausgewählt und ins malerische Medium übertragen. Es sind dies keine krassen Zurschaustellungen, eher Banalitäten: ein Typ auf der Couch, der gerade zu einem Schluck Rotwein ansetzt, ein Mann - der titelgebende Hans - der mit einer Pocketkamera den Betrachter fotografiert, ein junger Mann, der sich auf einem Sofa fläzt. Doch irgendwas stimmt nicht. Die Kontraste sind zu stark, ganze Bildpartien versaufen im Dunkel, andere Partien wirken überhell. Und vor allem brechen Vier- und Rechtecke in abweichenden Farbwerten den Auftrag der Farben auf. Man kennt diesen Effekt von der Verpixelung, die auftritt, wenn ein Digitalfoto in ein schlechter auflösendes Format gepresst wird. Es kommt dann zu hässlichen Verfremdungen.

Unheimliches Eigenleben

Ebendiese Bildstörungen greift Antje Wolkersdorfer auf und verleiht ihnen ein unheimliches Eigenleben. So etwa im Abbild einer Intimfotografie, auf der ein junger Mann das Hemd hochrafft, die Hose runterlässt und eine prüfende Beschau an sich vornimmt. Brust, Bauch und Lenden wirken - ähnlich der eingeschweißten Wurst - nicht allzu appetitlich, Flecken von brandigem Rot deuten einen Ausschlag oder gar eine Hautkrankheit an.

„Voller Rätsel ist das Leben, unergründlich ist der Tod“, dichtete schon Emanuel Geibel. Zu den Unergründlichkeiten dieses Daseins gehört auch das Bildnis eines Stuhles. Offenbar ein Stuhl aus Großvaters Konferenzzimmer, mit grünem Leder beschlagen. Bildfüllend steht er da. Hinter ihm duckt sich ein Schäferhund in devoter Haltung. Vor dem Stuhl zeichnen sich schwarze Pfotenabdrücke auf dem Boden ab. Aha, der Hund ist ins Arbeitszimmer eingedrungen. Wo aber ist sein Herrchen? Ehrfurchtgebietend in seiner Unbesetztheit steht der Stuhl da, und wir argwöhnen, dass Herrchen vielleicht nie mehr wieder kommt. Solch stillen Grusel strahlt Antje Wolkersdorfers Malerei in ihren besten Fundstücken aus.

Bis 30. August in der Kofferfabrik, Lange Straße 81

Verwandte Themen


Keine Kommentare