Die Schule des Sehens

29.1.2020, 13:30 Uhr
Die Schule des Sehens

Porträts und Experimente? Sagen wir mal so: Das ist ein ehrgeiziger Plan. Ganz abgesehen davon, dass bereits 1840 das erste bis heute bekannte Porträtfoto aufgenommen wurde und seither wahrscheinlich jeder schon mal die Hand am Auslöser hatte. Allein bei Facebook wurden 2013 täglich 350 Millionen Fotos hochgeladen. Richtig, das ist längst kalter Kaffee; inzwischen dürfte die unablässige Flut der Menschenbilder in den Sozialen Netzwerken noch weitaus höher liegen.

Und jetzt also "Experimentelle Porträtfotografie"? Das war nämlich der Auftrag, den die 16 Teilnehmerinnen und Teilnehmer – sie sind zwischen 16 und 20 Jahre alt – eines P-Seminars des Heinrich-Schliemann-Gymnasiums von Johanna Klose gestellt bekamen. Kurz gesagt: Ziel erreicht. Das Seminar, das nun bis 6. Februar in einer Ausstellung in den Bühlers-Räumen von Galeristin Sabine Pillenstein mündete, ist nicht zuletzt zu einer Schule des Sehens geworden.

Für Ruben Blana, Katharina Böhm, Leyla Büschel, Janine Graser, Amelie Grummt, Milano Hama Faraj, Marlene Hammer, Alycia Langhans, Jana Miers, Paul Mayer, Lena Ringel, Lisa Rummler, Paula Scharnagl, Simon Schrüfer, Marlena Tinter und Ella Wendel wurde die Auseinandersetzung mit dem Medium Kamera ganz offensichtlich zu einem Augenöffner. Die schlichte Weisheit, dass Blicken nicht automatisch auch Sehen bedeutet, wurde hier aufs Neue erlebt und umgesetzt. Die Fotos sind sehr persönlich, emotional, spielerisch und auf eine berührende Art wahrhaftig.

Natürlich sind da Motive, die vertraut erscheinen. Doch Vorbilder regten nicht zum Kopieren an, sondern dienten als Inspiration. Gearbeitet wurde vorwiegend digital, aber auch analog. Zum Einstieg gab es professionelle Tipps. Paula Scharnagl: "Der Fotograf Paul Yates hat sich für uns Zeit genommen, er hat uns vieles gezeigt und viel beigebracht."

Auseinandersetzung mit Gefühlen

An den Wänden der GründerzeitVilla finden sich Arbeiten, die Privates andeuten. Da lassen sich Beziehungsgeflechte und Geschichten aus Bildern, die wie Momentaufnahmen anmuten, herauslesen. Langzeitbelichtungen frieren Bewegungen ein. Gesichter in Schwarz-Weiß scheinen mehr zu verraten, als sie zeigen. Für die jungen Ausstellungsmacher wurde die Aufgabe zu einer Beschäftigung mit den Gefühlen, den Rollen und der nötigen Vertrautheit, die vor beziehungsweise hinter der Kamera gefordert werden. "Anfangs", sagt etwa Ella Wendel, "war es für mich schwierig, ins Objektiv zu schauen und mit meiner Mimik auszudrücken, was ich darstellen wollte."

Die Definition, was ein Porträt ist, wurde weit gefasst. Auf einer 70 mal 70 Zentimeter großen Betonplatte ist gerade mal ein Arm zu sehen, der über eine Mauer Richtung Himmel ragt. Die Platte liegt am Boden, wird zum Stolperstein, fordert die Wahrnehmung heraus und verstört mit der Aktion, die sich augenscheinlich in luftiger Höhe abspielt. Das Nachbarobjekt, eine Litfaßsäule, wieder und wieder mit dem gleichen rhythmischen Treppenhaus-Motiv bedruckt, zwingt den Blick in die umgekehrte Richtung. Irritierend.

Johanna Klose, als Kunsterzieherin am Schliemann-Gymnasium Leiterin des P-Seminars und als Künstlerin über die Region hinaus bekannt, betont: "Die Schülerinnen und Schüler haben alles komplett selbstständig gemacht." Aus dem Team wurden Kuratoren gewählt. Catering, Flyer, die Suche nach Ausstellungsräumen oder der Aufbau, jede Aufgabe wurde von den Mitwirkenden übernommen. Finanzielle Unterstützung gab es von den Freunden und Förderern des HSG.

So ist denn zum Beispiel auch mitten im Raum eine Installation zu entdecken, die sicher auch kein Porträt im engsten Sinn ist, aber konsequent weitergedacht wurde: Die Fotos zeigen eine Schwimmerin und kommen samt Wasser daher. Verpackt in Folie, darf damit gespielt werden: Wer die Hülle berührt, generiert ganz automatisch neue Bilder. Auch das sind spannende Ausblicke auf unsere alltägliche Bilderflut.

"mensch mensch": Bühlers (Königswarterstraße 22), montags bis freitags 11-18, Wochenenden 14-18 Uhr. Bis 6. Februar.

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