Aus Fürth stammende Journalistin

Doku "Kandvala": Europa, ein ferner Traum

Florian Burghardt

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20.7.2021, 17:55 Uhr
Doku

© Foto: Sitara Thalia Ambrosio

Die Flüchtlingsbewegung in Richtung Zentraleuropa steht schon seit längerer Zeit nicht mehr im Zentrum der medialen Berichterstattung. Dennoch machen sich weiterhin täglich Menschen auf den beschwerlichen Weg. Einer von ihnen ist der 18-jährige Danny.

Vor anderthalb Jahren flieht er aus seiner Heimat, der Provinz Nangarhar in Afghanistan. Er lässt seine Eltern und Geschwister zurück in der Hoffnung, die Schule beenden und arbeiten zu können. Doch trotz aller Strapazen auf der Tausende Kilometer langen Balkanroute erweist sich das letzte Wegstück vor den Toren Europas als besonders zäh.

20 Versuche

Denn in Bihac, einer Stadt im Nordwesten von Bosnien und Herzegowina, nur wenige Kilometer von der kroatischen Grenze (und damit von der EU) entfernt, ist für Danny und viele andere Flüchtlinge Endstation. Immer wieder versuchen sie, nachts und in kleinen Gruppen hinüber zu kommen. Mit der kroatischen Grenzpolizei beginnt ein gefährliches Katz-und-Maus-Spiel, das sie "The Game" nennen. Allein Danny will es im April 2021 bereits zum 20. Mal versucht haben. Unterschlupf finden er und die anderen Flüchtlinge, überwiegend junge Männer, in einer Bauruine, die alle Kandvala nennen.

Über ihr widriges Leben dort und die mühsamen Versuche, "The Game" zu gewinnen, berichten die Journalisten Ivan Furlan Cano und Sitara Thalia Ambrosio in ihrer 45-minütigen Multimedia-Reportage "Kandvala". Drei Wochen haben sie im Februar in Bihac verbracht.

"Durch die Politik der EU sitzen viele Menschen vor den Grenzen Europas fest", meint Ambrosio, die 2002 als Celina Weißmann in Fürth geboren ist und als Fotojournalistin in Leipzig lebt. In der riesigen Ruine, aus der ursprünglich ein Altenheim werden sollte, leben Hunderte Menschen ohne Elektrizität und fließendes Wasser. Kandvala grenze "an einen kleinen Park umgeben von Restaurants, während die Menschen im Gebäude mit offenem Feuer heizen und ohne sanitäre Anlagen leben. Dieses Bild gibt die Absurdität der Situation sehr gut wieder", berichtet die junge Journalistin.

In Videos, Audiodateien, Bildern und kurzen Texten haben sie und ihr Kollege die Situation und die Schicksale verschiedener Flüchtlinge dokumentiert. Viele von ihnen hätten bei Unruhen in ihren Heimatländern geliebte Menschen verloren. In Kandvala besteht der Großteil ihres Tages nun daraus, etwas Essbares zu besorgen und ihre nächste Teilnahme an "The Game" vorzubereiten.

Dieses Spiel, das keines ist, birgt massive Gefahren für die Flüchtlinge. In der Reportage erzählen mehrere Personen, dass sie von Grenzpolizisten aufgegriffen und gewaltsam nach Bosnien und Herzegowina zurückgedrängt wurden. Geld und Mobiltelefone würden die Beamten den Flüchtlingen abnehmen. Ein junger Mann behauptet, dass Schulterknochen gebrochen werden, um Rucksäcke untragbar zu machen.

Hartes Vorgehen

Die Beine würden die Grenzer allerdings unverletzt lassen, damit die Personen von selbst wieder fortgehen können. "Es gibt Dutzende Berichte von illegalen Abschiebungen aus verschiedenen europäischen Ländern zurück nach Bosnien und Herzegowina. Viele dieser sogenannten Pushbacks enden gewaltvoll", sagt Ambrosio.

Auch Nichtregierungsorganisationen (NGO) prangern solche Pushbacks am Ende der Balkanroute und das teils brutale Vorgehen der Behörden an. Dass die Umstände vor Ort "so katastrophal sind", hat Ambrosio schockiert. Laut ihren Recherchen leben in Bosnien und Herzegowina aktuell rund 8000 Geflüchtete. Dabei hätten sich allein in Deutschland 253 Städte der Initiative "Sicherer Hafen" angeschlossen und wären zur Aufnahme Geflüchteter bereit.

"Dass dieses Leid leicht mit einer Verteilung auf alle europäischen Länder aufgehoben werden könnte, aber nicht getan wird, löst in mir Unverständnis aus", sagt die Journalistin im FN-Gespräch. Zugleich wertet sie es als ermutigend zu sehen, wie Privatpersonen und NGOs die Menschen in Kandvala unterstützen, obwohl es verboten sei, den Geflüchteten dort zu helfen.

Mit manchen dieser Menschen steht Ambrosio noch in Kontakt. Danny, so heißt es am Ende der Reportage, soll es im Mai nach Italien und kurz darauf weiter in die Schweiz geschafft haben. Nach einiger Zeit in Quarantäne lebt er nun offenbar in einer Flüchtlingsunterkunft. Auch einen Asylantrag soll er bereits gestellt haben.

https://story.multim3dia.de/kandvala

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