Eine Auszeit von der Isolation zu Hause

3.5.2013, 09:00 Uhr
Eine Auszeit von der Isolation zu Hause

© Winckler

Jeden ersten Sonntagnachmittag im Monat von 14 bis 16 Uhr treffen sich unter dem Dach von „Zamkumma“, dem Tagesbetreuungsangebot von Pflege Direkt, Menschen, die sich zu Hause um einen Angehörigen kümmern. Es bietet die Gelegenheit, im ansonsten sehr auf sich selbst gestellten Leben für einen anderen aus den eigenen vier Wänden heraus- und mit Menschen zusammenzukommen, die in einer ähnlichen Situation sind, erklärt Sonja Ulsenheimer.

Dass es in der professionellen Pflege in erster Linie um die zu Pflegenden geht und die Situation der Angehörigen hintansteht, ist für Ulsenheimer ein Defizit in ihrer Branche. „Es fehlt generell an Zuwendung und Zeit.“ Zeit für die Partner, die sich oft aufopfernd um ihre Lebensgefährten sorgten, bleibe im Berufsalltag nicht. Dieses Defizit sehen auch Sonja Ulsenheimers Mitarbeiter, von denen sich etliche in dem Verein „Zammhelfn“ über ihre Arbeit hinaus ehrenamtlich engagieren.

Zum Beispiel Andrea Alt, von Beruf Altenpflegerin mit gerontopsychiatrischer Zusatzausbildung, oder Margarete Raab. Sie ist Rentnerin und hat sich auf Initiative Ulsenheimers in einem Kurs bei der Alzheimer-

Gesellschaft Bayerns zur Demenzbetreuerin ausbilden lassen. Jetzt hilft sie regelmäßig beim Sonntagscafé mit. Die beiden servieren Kaffee und Torte und suchen wie ihre Chefin das Gespräch mit den Gästen. „Da fragen wir ganz bewusst die Angehörigen, wie es ihnen geht“, so Sonja Ulsenheimer. Dass selbst Mitarbeiter des Pflegeunternehmens auch noch in ihrer Freizeit „mit Herz und Seele dabei sind und ihr eigenes Leben zurückstellen, um ehrenamtlich zu helfen“, findet Bea Boova enorm. Seien die sozialen Berufe doch ohnehin extrem unterbezahlt. Mit ihrer Schwester betreut sie die an Demenz erkrankte Mutter, immer mittwochs nimmt die Tagesbetreuung „Zammkumma“ den jungen Frauen diese Verantwortung ab. Zum Sonntagscafé kommt Bea Boova regelmäßig, „weil es so liebevoll vorbereitet und gemacht ist“.

Pflege ist weiblich

An den fünf anderen Tischen in dem geräumigen, hellen Raum plaudern hauptsächlich Menschen im Alter von 60 Jahren aufwärts. Jeder hat ein kleines gestricktes Lämmchen vor sich. Eine Aufmerksamkeit von einer Besucherin aus dem Dorf, die sich regelmäßig unter die Gästeschar mischt. Rundum Paare, in der Mehrzahl sind es Frauen, die ihre Männer betreuen.

Wie schwierig die Zweisamkeit in den privaten vier Wänden werden kann, wenn sich, wie es vorkommt, das Wesen des geliebten Menschen, mit dem man Jahrzehnte zusammenlebte, mit der Demenz verändert, lässt erahnen, was eine Frau aus ihrem Pflegealltag erzählt. Seit 2008, als die Diagnose feststand, pflegt sie ihren Gatten. „Es ging schon länger, die Krankheit schleicht sich ein, für Außenstehende ist das nicht erkennbar“, sagt die 63-Jährige. Sie musste ihre Berufstätigkeit aufgeben.

Im täglichen Umgang gelte es, absolute Ruhe zu bewahren und gute Nerven zu beweisen: „Werde ich nervös oder dränge ihn, zieht er auf“ — soll heißen: Dann reagiert er mit Drohgebärden, wird aggressiv.

Zeit seines Lebens war ihr Mann selbstständiger Unternehmer. „Da hieß es immer, ich bin der Chef. Jetzt muss ich sagen, wo es lang geht. Seit Jahren hat er keine eigene Meinung mehr. Wo wir uns früher absprachen, muss ich alles allein entscheiden.“ Für die Lebensgefährten, hat ihre Hausärztin einmal zu ihr gesagt, ist Demenz die schlimmste Krankheit, der Leidende ist der Partner. Wie es der an Demenz Erkrankte selbst erlebt, könne keiner einschätzen. „Er lebt in einer anderen Welt“, sagt die Frau.

Glücklich, wer sich trotz schwieriger Umstände so innig zugetan bleibt, wie Brunhilde und Roland Weiß. Seit 55 Jahren sind sie verheiratet. 1997, nach einem Schlaganfall, erholte sich Roland Weiß vorübergehend sehr gut. Bis vor vier Jahren ist das Paar trotz Rollstuhl noch um die halbe Welt gereist. Doch seitdem ging es gesundheitlich immer schlechter, er ist linksseitig stark gehandicapt, nicht mehr stabil und stürzt leicht.

Brundhilde Weiß wagt kaum noch, ihren Mann allein zu lassen. Dieser Tage hat sie sich das erste Mal seit einem halben Jahr wieder mit früheren Kolleginnen getroffen. „Wir arrangieren uns mit der Situation, nicht wahr?“, wendet sie sich an ihren Gatten und streicht ihm zärtlich über den Arm. „Was hammer uns geschworen? In guten wie in schlechten Zeiten, richtig?“ Ihr Mann dankt ihr mit einem Lächeln. Worte hat er kaum mehr.

Das nächste Sonntagscafé findet am 5. Mai, 14 bis 16 Uhr, in der Bahnhofstraße 6 statt. Auf stundenweise Betreuung, wie sie „Zammkumma“ (Internet: www.pflege-direkt.de) anbietet, haben Angehörige, die an Demenz Erkrankte betreuen, Anspruch. Nähere Infos bei den Fachstellen für pflegende Angehörige bei Pflege Direkt, Telefon (09105) 9081, bei der Caritas, Tel. (0911) 7405030 oder beim Diakonischen Werk, Tel. (0911) 7493323.

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