Einer stickt immer

19.8.2010, 01:00 Uhr
Einer stickt immer

© Thomas Scherer

Henry Fonda hätte geschossen. Der böseste Bösewicht der Filmgeschichte im besten aller Filme war mit einem Geduldsfaden der hauchdünnen Sorte ausgestattet. Aber irgendwie und Gott sei Dank sind die Zeiten zivilisierter geworden. Und Fürth ist nicht Sweetwater. Das Pressegespräch im — Achtung, Wortspiel — unheimlich zugigen Wartesaal der unheimlich eigenartigen Ludwigsbahnhofs-Attrappe auf der Freiheit ist wie die Bahn; es verspätet sich um zehn Minuten. Das kann nur Absicht sein.

Fünf Jahre seines Lebens, so wollen es schlaue Studien herausgefunden haben, verbringe der Mensch mit Warten, sagt Claudia Floritz. Gemeint ist nicht das Warten aufs Glück, auf Lottogewinne und die Demission des Außenministers, sondern jenes Warten, das sein muss und an dem kein Weg vorbeiführt; an der Kasse, beim Arzt, am Bahnsteig. Dort kann es besonders höllisch sein.

Punkte im Klammern

Seit in Deutschland Eisenbahnen fahren, warten wir auf Züge, warten und warten. Im Eisenbahn-Jubiläumsjahr jedoch können, zumindest in Fürth, zahlreiche Künstler dem Phänomen Warten kreative Seiten abgewinnen. Acht Studentinnen und ein Student des sechsten Semesters Kultur-Gestaltung der Fachhochschule Schwäbisch Hall haben für „Warten“ in die Hände gespuckt, haben das originelle Logo (Punkte in eckigen Klammern), das Programmheft, den Web-Auftritt und die Ausstellungsideen aus ihren Köpfen entlassen.

Man erfährt übrigens auf diesem Weg auch mal, dass Schwäbisch Hall eine FH hat. Was deren Personal — und nicht etwa Fürther Künstler oder Nürnberger Akademie-Studenten — nach Fürth gezogen hat, beantwortet Floritz mit „Partnerschaft mit der kunst galerie fürth“ (das wusste man auch noch nicht) und „Projekt aus einem Guss“. Vielleicht ist aber gerade FH-Dozent Andreas Mayer-Brennenstuhl für Schienen-Kultur besonders geeignet. 2002 hat der Professor mal im Nürtinger Bahnhof eine Installation gezeigt, unter Verwendung eines Eisenbahnmodells aus der Harald Schmidt Show. Das spricht für ihn.

„Wir wollen“, sagt Mayer-Brennenstuhl, „den Begriff ,Warten‘ in Alltagssituationen erproben“. Drum soll es an drei Stellen in der Schwabacher Straße so genannte Warteinseln geben unter dem Motto „Warten Sie mal“. Dort können die Fürther in Sitzsäcken versinken, auf Liegestühlen ruhen, vor sich hin warten.

Stets um 5 vor 12 kommen auf diesen Warteinseln die Kultur und ein interessanter Warte-Beitrag ins Spiel, so etwa das Improtheater 6aufKraut („Warten auf Zuruf“, 11. September) und Christina Gomez-Serrano, Fürths Christkind 2009 („Warten aufs Christkind“, 24. September). Eine eigene Teetasse ist mitzubringen, dann serviert am 25. September der „Teeladen“ („Abwarten und Tee trinken“). Darüber hinaus sind überraschende Aktionen und Performances geplant. Mayer-Brennenstuhl hat was vor, das „In 7 Minuten kommt Aschenputtel zu den Täubchen“ heißt und ebenfalls in der Fußgängerzone stattfinden soll.

An den Warteinseln liegen Postkarten aus. Hier kann jeder Fürther die knifflige Frage „Worauf wartest du?“ beantworten und mit etwas Glück auf Reisegutscheine, die die Deutsche Bahn verlost, hoffen. Die Karten mit den Antworten werden, hübsch aufgereiht, zu einem Kunst-Stück im Hauptbahnhof.

Der wiederum ist das Herz der „Warten“-Aktionen, die finanziell vom Kulturfonds Bayern und dem städtischen Topf zum Bahnjubiläum getragen werden. Wie schon beim sehr erfolgreichen „Gleis 0“–Projekt im Rahmen der „containArt“ 2008, werden die beschämend leer stehenden Räume im ersten Stock des Hauptbahnhofs zu Ausstellungsräumen, die sich junge bildende Künstler erobern; Vernissage ist am 10. September um 19 Uhr mit Musik, Performance und Kunstgrillen.

Konzerte, Filme, Vorträge

Eine Bar, die das Babylon betreibt, gibt es in den beiden „Warten“-Wochen auch, sowie zur Abendstunde Filme (Oliver Jahns Öko-Komödie „Die Eisbombe“ am 19. September, 20 Uhr), Konzerte und Vorträge mit durchaus ernster, metaphysischer Note. Roland Martin Hanke, Vorsitzender des Hospizvereins Fürth, reflektiert am 23. September unter dem Titel „Warten am Ende des Weges“ (20 Uhr) über das Sterben und die Betreuung Sterbender.

Die Ausstellung wird täglich zwischen 12 und 20 Uhr geöffnet sein, der Eintritt ist frei. Führungen gibt es täglich um 15 Uhr. Für das über 20 Uhr hinaus gehende Abendprogramm — so tritt etwa am 11. September um 21 Uhr das Super Dance Orchestra auf — ist teilweise Eintritt fällig, der mit 4 Euro jedoch überschaubar bleibt.

Im ersten Stock zeigen 17 Künstlerinnen und Künstler ihre Beiträge zum Thema. Fotografien, die wartende Menschen zeigen, sind darunter, ein „Wartehimmel“, der den Besucher auf Wolken schweben lässt, Installationen mit Sanduhren und Glückskugeln. Eine künstlerisch gestaltete WC-Ampel macht den Gang aufs Örtchen zum Wartespiel. An drei Tagen nimmt die Fürtherin Barbara Engelhard auf ihrer „Wartebank“ vor dem Bahnhof Platz. Den Vogel aber schießt wahrscheinlich Jan Wiechert ab. Der Riedlinger will im Lauf der Ausstellungszeit meterlange Waggons auf eine Borte sticken. Titel der zugkräftigen Handarbeits-Performance: „nowhere train“.

Übrigens zählt der beste aller Filme, also „Spiel mir das Lied vom Tod“, nicht zum Filmprogramm von „Warten“, was unverzeihlich ist. Wo es doch um den Eisenbahnbau im Wilden Westen geht. Nachdem er Henry Fonda ins Jenseits befördert hat, sagt Charles Bronson ganz zum Schluss: „Tja, ich muss gehen. Das wird mal ’ne schöne Stadt, Sweetwater.“ Claudia Cardinale: „Sweetwater wartet auf dich.“ Bronson: „Irgendeiner wartet immer.“