Ernstfrieds Begegnung

16.9.2014, 09:13 Uhr
Bertold Brackemeier erzählt vom kurzen Glück in Poppenreuth.

© Hans Winckler Bertold Brackemeier erzählt vom kurzen Glück in Poppenreuth.

Gedankenversunken sitzt der ein wenig über 50-jährige, meist mürrische und humorfreie Ernst- Friedhelm Hagenbusch auf seinem alten, vom Großvater geerbten schäbigen und angestaubten Denkersessel und starrt entrückt vor sich hin. Seine Frau Elisabeth räumt die frisch geplättete Bettwäsche in den Schrank, den sich beide bei Möbel Krügel – seinerzeit – zur Hochzeit gegönnt hatten. Eichenfurnier.

Hagenbusch hat schon bessere Tage gesehen und ist schon wesentlich glücklicher gewesen – außer vielleicht gestern, so um 19.12 Uhr.

Ernst-Friedhelm ist wie fast jeden Abend nach dem x-ten Bier – er zählt sie schon lange nicht mehr – in seiner eigenen kleinen Welt gelandet und träumt heute ausnahmsweise nicht von seiner Modelleisenbahn, die ihm sein cholerischer Vater am Weihnachtsabend kaputttrat oder von „Was wäre gewesen, wenn ich doch . . .“, sondern vom Vorabend in der Nähe von Poppenreuth, als er diese schicksalhafte und herrliche Begegnung gehabt hatte, die ihn, den alten Hagenbusch, veränderte.

„Hach!“ (Pause)

„Ach Gott!“ (lange Pause)

„Mei!“ (noch längere Pause)

Er holt sich den kurzen Moment gedanklich noch einmal zurück:

Beim Heinz gegenüber von seiner Gartentür. Das war, . . ., das war wie . . . Sie strahlten mich so durchdringend an, hell und rein, wie zwei funkelnde Sterne am Firmament – nein, wie zwei Sonnen an einem frühen und heißen Sommermorgen im August, irgendwo am Meer. So etwas müsste man öfter sehen dürfen, so etwas müsste es mehr auf dieser Welt geben – nicht nur da. Hab ich das erlebt? Ich bin vielleicht doch ein Romantiker.

Das war so intensiv, das hat mich sooo, ja, geblendet. Das war doch ich?

Fast blind taumelte ich und schwankte, konnte mich gerade noch beim Heinz abfangen und war fast wieder, wie damals vor Elisabeth, ein klein bisschen glücklich – GLÜCKLICH. Trotz des gedeckt grauen, leicht schimmernden Gewandes warst du pure Eleganz, so würdevoll. So stattlich, so erhaben und doch so jugendlich-wunderschön.

Oh, wie sehr begehre ich dich, wo ich dich doch nur so kurz gesehen habe. Gibt es das, ist das möglich?

Die silbernen, geschwungenen Kurven mit schmalen, schwarz umrandeten Spangen hielten die gleißende, traumhafte Erscheinung wie leichte Gewichte gerade noch auf dem Boden, . . . nichts auf der Welt hätte diese Schönheit sonst an die Erde binden können – wie eine Licht- oder Luftgestalt wäre sie in höhere Sphären gestiegen und weit über das bekannte Universum hinaus davon geschwebt.

Diese fließende, schwungvolle,
mit perfekten Maßen und Rundungen ausgestattete Silhouette funkelte im abendlichen, letzten, warmen Sonnenlicht dieses Spätsommerabends – wie eine perfekte Göttin.

Es raubte mir die Sinne und den Atem; ich hatte tatsächlich fast vergessen zu atmen und hustete. Verweile doch, du bist so schön, schoss es mir durch den Kopf, und schon war es wieder vorbei. Sie blinkerte mich noch an, als sie um die Ecke bog, dann war sie auf immer verschwunden.

Er schnappt nach Luft und dann hört er seine Frau Elisabeth laut rufen, die ihn wieder rüde in die Realität zurückholt – wie eine Bruchlandung:

„Ernstfried, was machst du da, zur Hölle? Hör’ auf, wie ein asthmakranker Köter nach Luft zu schnappen, das nervt.“

„Ja, ja!“

„Was machst du?“

„Nichts – ich denke.“

„Na, das wird ja mal nichts, du und denken! Lass den Quatsch und hilf mir lieber.“

Leise zu sich: „Ach, wie schön du warst! Mercedes, mein Engel, eines Tages werde ich dich wiederfinden, und dann wirst du mir gehören, und dann brennen wir durch . . .“

Keine Kommentare