„Es gibt kein Sündenbewusstsein mehr“

22.10.2004, 00:00 Uhr
„Es gibt kein Sündenbewusstsein mehr“

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Herr Wagner, machen sich die Büßer in St. Walburga so rar, dass Sie sich an ihre Fersen heften müssen?

Wagner: Ja, machen sie. Wenn wir darauf warten, dass die Leute kommen, dann können wir lange warten. Leider gehen nur noch sehr wenige Menschen zur Beichte, aber das ist überall so. Ich wundere mich darüber, denn ich beichte regelmäßig und fühle mich hinterher immer sehr gut, erleichtert und Gott wieder näher. Als Seelsorger habe ich natürlich den Auftrag zu verkünden, dass Gott versöhnt, dass er den Menschen hilft, mit den Verwerfungen ihres Lebens fertig zu werden. Wenn die Leute aber nicht kommen, müssen wir Seelsorger neue Wege einschlagen, um sie auf Gottes Angebot hinzuweisen. Das Beichtmobil ist eine Möglichkeit, die wir mal ausprobieren.

Warum, glauben Sie, will keiner mehr beichten? Heutzutage schütten die Menschen ihre Herzen doch ungeniert aus, selbst in Talkshows . . .

Wagner: Oft hat sich die Abneigung schon in der Kindheit entwickelt. Die Leute sagen mir immer wieder, dass sie das schrecklich fanden, in diesen dunklen Beichtstuhl gehen zu müssen und dann vom Pfarrer ausgefragt zu werden. Ein anderes Problem, glaube ich, ist der Unschuldswahn in unserer Gesellschaft.

Der Unschuldswahn?

Wagner: Na ja, es gibt kein Sündenbewusstsein mehr und keine Kultur des Sich-Entschuldigens. Schuld ist immer der andere, die Politik, die Institutionen und so weiter. Damit aber ein glückliches Leben möglich ist, muss man einander vergeben. In einer Familie genauso wie in der Politik. Nehmen Sie Willy Brandts Kniefall vor dem jüdischen Mahnmal in Warschau. Solche Gesten sind immer der erste Schritt zu einer Versöhnung. Ich hoffe, dass ein neues Bewusstsein entsteht, das Bewusstsein, dass ich nur leben kann, wenn ich anderen vergebe und wenn andere mir vergeben.

Zurück zum Beichtmobil. Das ist ein ehemaliger VW-Campingbus, den das Hilfswerk „Kirche in Not/Ostpriesterhilfe“ verleiht. Seit seiner Inbetriebnahme im März ist der Bus weit herumgekommen, von Flensburg nach Freiburg und jetzt nach Fernabrünst. Wo findet er mehr Zuspruch, in der Stadt oder auf dem Land?

Wagner: Wohl eher in einer anonymen Großstadt. Auf dem Dorf ist die Sozialkontrolle größer. Ob da überhaupt jemand kommt, müssen wir abwarten, zumal wir eine Diasporagemeinde sind. In Wendsdorf hat unsere Kirche gerade mal sieben Mitglieder, in Unterschlauersbach 22.

Ob die für eine Art Drive-In-Absolution in einen Bus steigen, nur weil da „Beichtmobil“ draufsteht?

Wagner: Keine Ahnung. Wir schauen halt mal. Im Übrigen muss nicht jeder gleich die Beichte ablegen. Der Bus ist ein geschützter Raum, aus dem nichts nach außen dringt und insofern gut geeignet für die Absolution. Aber da drin kann man auch ein Gespräch führen, vielleicht um mich kennen zu lernen. Schließlich bin ich erst ein halbes Jahr hier.

Falls doch jemand beichten will: Was macht in der Zeit Diakon Klösel?

Wagner: Er geht raus und wartet, bei hoffentlich gutem Wetter.

Wie gemütlich darf man sich die Atmosphäre im Bus vorstellen? Kochen Sie sich und Ihren Besuchern ein Tässchen Tee oder heiße Brühe?

Wagner (lacht): Das wäre möglich. Ich habe den Bus noch nicht gesehen, aber eine Küche soll drin sein. Ja, das scheint mir eine gute Idee, ich denke, wir nehmen Tee und Kaffee mit.

Woher wissen die Leute, dass Sie kommen? Hupen Sie?

Wagner: Wir machen vermutlich mit einer Glocke oder einem Lautsprecher auf uns aufmerksam, wie die Kartoffelbauern und Scherenschleifer.

Ihr Vorgänger, Pfarrer Bernhard Kroll, wurde von Bischoff Mixa wegen seiner Teilnahme am evangelischen Abendmahl mit harten Sanktionen belegt. Die Großhabersdorfer protestierten dagegen heftig, über 20 Personen traten sogar aus der katholischen Kirche aus. Hoffen Sie, diese mit Ihrer Beicht-Tour zurückzugewinnen?

Wagner (überlegt): Das ist eigentlich nicht mein Gedanke gewesen, zumal ich mich nicht um das Seelenheil all dieser Menschen sorgen muss. Manche sind ja in die evangelische Kirche übergetreten. Allerdings muss man sagen, dass es viel Bitterkeit gab im Zusammenhang mit der Affäre Kroll, und da tun Aussprachen immer gut. Interview: BIRGIT DACHLAUER

Das Beichtmobil kommt am morgigen Samstag ab 13.30 Uhr nach Vincenzenbronn, Fernabrünst, Wendsdorf, Schwaighausen und Unterschlauersbach. Am späteren Nachmittag sowie am 29. 10., am 30. 10. und am 1. 11. hält es in den Dietenhofener Ortsteilen.