FN-Spurensuche: Selig in der Zelle

21.10.2011, 09:00 Uhr
FN-Spurensuche: Selig in der Zelle

© Hans-Joachim Winckler

Die Abschaffung der gelben Telefonzelle steht im direkten Zusammenhang mit der Tatsache, dass sich unser Kommunikationsverhalten grundlegend geändert hat, dass wir es von einer Gesprächskultur zu einer Plapper-Gesellschaft gebracht haben und heute auf Schritt und Tritt mit den Sorgen und Nöten unserer Mitmenschen konfrontiert werden, die ihre Mitteilungen nur mehr ganz öffentlich und überall in die scheinbar hohle Hand sprechen. Wenn nicht gar rufen oder brüllen. Das war mal ganz anders.

Das Zeitalter der Fernkommunikation begann in Fürth vor exakt 155 Jahren, als hier eine erste Telegrafenstation eingerichtet wurde (eine Poststation für handgeschriebene Briefe hatte es freilich seit 1720 gegeben). 1884 wurde bereits eine Telefonleitung zwischen Nürnberg und Fürth verlegt. Zwei Jahre später gab es in Fürth 106 Anschlüsse, und von Januar bis Dezember 1886 hatte sich die Durchschnittszahl der täglichen Gespräche von 113 auf immerhin 334 erhöht.

Von da ab verlief die technische Revolution in Fürth nicht anders als in anderen Städten des Reichs, und so kann man davon ausgehen, dass auch hier bald der Ruf nach öffentlichen Fernsprechern laut wurde, da sich beileibe noch nicht jeder Haushalt einen eigenen Anschluss leisten konnte.

Um möglichst schnell einem großen Personenkreis das neue Medium zur Verfügung zu stellen, wurden sogenannte „öffentliche Fernsprechstellen“ eingerichtet. Sie waren von jedermann gegen eine Gebühr von 50 Pfennigen für je fünf Minuten Sprechzeit zu benutzen. Das 50-Pfennig-Billett konnte man im Postamt am Bahnhofplatz erstehen.

Bis zur Jahrhundertwende wurden hierzu ganz normale Fernsprechapparate eingesetzt, erfährt man im Archiv für Deutsche Postgeschichte. Ab Mitte 1899 machte man in Berlin die ersten Versuche mit Fernsprechautomaten, also Fernsprechapparaten mit Geldeinwurf. Sie wurden in der Zeit der Inflation und für einige Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg auf Telefonmünzen umgerüstet. Diese Erfindung, am Anfang auch Fernsprechzelle, Fernsprechkiosk oder Straßensprechstelle genannt, heißt ab 1927 amtlich „Fernsprechhäuschen“. Im allgemeinen Sprachgebrauch bürgerte sich aber immer mehr die Bezeichnung „Telefonhäuschen“ ein.

In der alten Fürther Hauptpost konnte man öffentliche Fernsprecher noch sehen; diese Stellen bestanden aus Holz und waren vor allen Dingen eines — schallisoliert. Wer mit der Oma in Nürnberg oder mit dem Neffen am anderen Ende der Welt telefonierte, hatte das Recht, ungestört zu bleiben. Der Anrufer seinerseits war noch peinlich darauf bedacht, seine persönlichen Informationen nur in die Muschel zu raunen, niemand um ihn herum sollte auch nur andeutungsweise mitbekommen, worum es gerade ging.

Die anderen Besucher der Post wiederum, die ihrerseits auf das Freiwerden der Zelle warteten, wurden nicht belästigt mit irgendwelchem Kram über die Enkel, mit Intimem aus einer jungen Liebe oder mit völlig Nebensächlichem, für das der Telefonierer endlos Pfennige nachwarf. Nicht umsonst aber war in jeder Zelle das Schild mit der Aufschrift „Fasse dich kurz!“ angeschraubt. Mit der Zeit reichten die Zellen (welch klaustrophobische Bezeichnung!) in der Post nicht mehr aus, Straßensprechstellen wurden eingerichtet, die mit den Jahrzehnten ihr einheitliches Aussehen bekamen und nun zuverlässig als – wie erwähnt — Telefonhäuschen an vielen Stellen der Stadt standen.

Weithin erkennbar gelb waren sie ewige Zeiten, sanft innen beleuchtet des Nachts oft der einzige Lichtblick in einer verlassenen Straße. Man brauchte Kleingeld, und wenn man eine vergessene Nummer in den hier fest installierten Telefonbüchern nachschlagen wollte, war mit Sicherheit der Buchstabe, den man suchte, längst von sogenannten „Vandalen“ herausgefetzt worden.

Unterschlupf bei Regen

Gleichwohl, sie waren eine segensreiche Einrichtung, die bei einem Regenguss schon auch mal mehreren, sich eigentlich wildfremden Menschen Unterschlupf bot. Das beliebte Spiel „Wie viele Menschen passen in eine Telefonzelle“ resultiert aus dieser Zeit. Aber man hätte es ahnen müssen: Als auch in Fürth die Post, die auf einmal nicht mehr Post, sondern Telekom hieß, den gelben Zellen einen schicken magentafarbenen Anstrich gab, war der Niedergang der öffentlichen Telefonkommunikation nicht mehr aufzuhalten.

Rund die Hälfte der Telefonzellen ist mittlerweile in Deutschland abgeschafft; die öffentlichen Standorte zur Grundversorgung seien unwirtschaftlich, sagt die Telekom, da fast jeder Mitbürger über ein Handy verfügt. Das ist der eine Teil der schlechten Nachricht; der andere betrifft ein rein optisches Problem: verschwunden sind schließlich auch die alten Zellen und wurden ersetzt durch sogenannte Telefonsäulen, die in ihrer Unscheinbarkeit ganz gewöhnlichen Laternenpfählen gleichen. Mit dem kleinen Unterschied, dass an ihnen ein (magentafarbener!) Hörer hängt und ein kleines durchsichtiges Dächlein Schutz vor etwaigen Naturkatastrophen vorgaukelt.

Ein Selbstversuch an der Säule am Löwenplatz brachte es dann an den Tag: Steht man dort und simuliert auch nur ein Telefongespräch, wird man von vorbeilaufenden Passanten wie E.T. angestarrt, der gerade „nach Hause“ anruft, weil ihm die Welt drumherum so fremd erscheint.

Man fühlt sich wie auf einem Präsentierteller, klammert sich an die Säule und sehnt sich nach Zeiten zurück, in denen man hinter sich die gelbe Tür geschlossen hat, um fortan allein zu sein mit sich und seinem Gesprächspartner, dem man ins Ohr säuseln konnte, was niemand sonst hätte hören sollen. Heute aber weiß man ungefragt von mindestens jedem zweiten Passanten, dass er später zum Essen kommen wird oder gerade mit dem Partner Schluss macht...

Man kann in diesem Zusammenhang nicht oft genug an Franz Kafka erinnern, diesen feinnervigen, hypersensiblen Chronisten der Verwerfungen und Veränderungen, die im vergangenen Jahrhundert ihre Anfänge nahmen und unter deren Auswüchsen wir heute noch zu leiden haben: Kafka, als ob er das mobile Schnatter-Zeitalter voraussah, sprach vom „schrecklichen Telefon“, das ihn „hilflos“ mache.

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