Fürth im Corona-Schlaf

21.3.2020, 22:49 Uhr
Fürth im Corona-Schlaf

© Foto: Hans-Joachim Winckler

Dass an diesem Samstag nicht alles ist wie sonst, wird schon auf der Straße erkennbar. Kaum ein Auto ist auf der vierspurigen B 8 unterwegs, nur die rotierenden Windräder Höhe Langenzenn muten lebendig an.

Seit Mitternacht dürfen die Menschen – vorerst für 14 Tage – ihre Häuser und Wohnungen nur noch mit einem triftigen Grund verlassen, wenn sie etwa zur Arbeit müssen, zum Arzt oder Lebensmittelladen oder sich mit Sport im Freien fit halten möchten. Sie sollen möglichst alleine unterwegs sein, begleitet allenfalls von Familienmitgliedern oder Lebensgefährten und keine Gruppen bilden. Die Staatsregierung unter Ministerpräsident Söder will so unterbinden, dass sich Menschen trotz gegenteiliger Appelle aus Wissenschaft und Politik weiter unbekümmert treffen, auf engem Raum versammeln oder gar "Corona-Partys" feiern und so die Ausbreitung des Coronavirus befeuern statt einzudämmen.

Fest steht, Söders Erlass zeigt Wirkung. Beispiel Rewe in Seukendorf: Es ist, als habe jemand eine Glasglocke über den Supermarkt gestülpt. Die Kunden greifen zu Butter und Bananen, heben schon mal die Hand, um Bekannte zu grüßen. Samstäglicher Smalltalk? Fällt – hier und jetzt zumindest – aus.

 

Mahnungen per Durchsage

 

Gedämpfte Musik liegt über allem, unterbrochen von Durchsagen. Die Stimme einer Frau ermahnt dazu, regelmäßig Hände zu waschen, in die Armbeuge zu husten, eineinhalb Meter Abstand zueinander zu halten. So große Bögen um die Mit-Kunden? Zwischen den Regalen unmöglich. Man versucht dennoch, einander auszuweichen, Stopp-and-Go zwischen Chips und Cornflakes.

Im Klopapier-Regal herrscht gähnende Leere. Die Fahndung nach diesem speziellen Artikel des täglichen Bedarfs im Auftrag eines älteren Herrn läuft in fünf Geschäften direkt ins Leere. Abstandsmarkierungen am Boden gibt es überall, "Spuckschutz"-Wände an den Kassen hie und da, Toilettenpapier allem Anschein nach nirgends – nicht bei Aldi in Seukendorf, wo ein Schild den "lieben Kunden" mitteilt: "Nein, wir haben keine Ware im Lager, die im Regal leer ist" und "Ja, wir tun alles dafür, dass diese bald wieder zur Verfügung steht". Sogar der Biomarkt ebl auf der Fürther Hardhöhe wurde im Segment WC-Papier geplündert.

Auch hier ist extrem wenig los. Am Freitag muss das ganz anders gewesen sein. Bis weit hinten zur Käsetheke habe die Schlange aus Menschen und Einkaufswagen da gereicht, berichtet die Kassiererin mit ausladender Armbewegung. Erklären könne sie sich das nicht, meint die Frau schulterzuckend. Schließlich hatte Söder die Schließung von Bau- und Gartenmärkten angekündigt, nicht aber die von Lebensmittelgeschäften.

Innenminister Joachim Herrmann hatte erklärt, dass die Polizei vermehrt unterwegs sein werde, um Präsenz zu zeigen und die neuen Ausgangsbeschränkungen gegebenenfalls durchzusetzen. Doch kurvt am Samstag keineswegs um jede zweite Ecke ein Polizeiauto. Im Gegenteil: Nur ganz vereinzelt sind Streifenwagen zu sehen, im Fürther Stadtpark beispielsweise oder in der Fußgängerzone, wo der Einzelhandel, von Bäckereien und Drogeriemärkten abgesehen, die Schotten notgedrungen dichtgemacht hat.

Fürth im Corona-Schlaf

© Hans-Joachim Winckler

Anders als in den Tagen zuvor lockt allerdings das kühle und regnerische Wetter ohnehin nur Frischluftfanatiker, disziplinierte Jogger oder Hundebesitzer nach draußen. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Staatsgewalt Menschengruppen voneinander trennen muss, tendiert schon witterungsbedingt gegen Null.

 

Beklemmende Stille

 

Und doch lässt sich in der ganzen Stadt eine beklemmende Stille förmlich mit Händen greifen, sogar beim Wochenmarkt auf der Freiheit. Ihr Schaschlik, Cheeköfte und andere Mahlzeiten zum Mitnehmen dürfen die Gastronomiebetriebe zwar anbieten. Nur kommt kaum Kundschaft. Gespenstisch mutet auch manche Busfahrt an. So fährt auf der Linie 172 von Burgfarrnbach bis zur City mitten am Tag nur ein einziger Fahrgast mit.

Und überall fehlt das muntere Geplapper von Kindern. Der Hauptbahnhof, wo an normalen Samstagen U-Bahnen und Züge Massen von Menschen ausspucken, wirkt wie ausgestorben. Keine Menschenseele hält sich auf den Bahnsteigen auf, und ein Schild an den gläsernen Türen des Reisezentrums verkündet, dass dieses voraussichtlich 19. April geschlossen ist.

Wie es scheint, steht Fürth tatsächlich still. Daran ändern auch vier Taxis vor dem Hauptbahnhof nichts. Die Fahrer Roland Fuchs (54) und Sinan Ilhan (27) sind selbständig und nur deshalb hier, weil sie eine Ansteckung mit dem Coronavirus etwas weniger fürchten als den Verlust ihrer Existenz. Doch fast kein Kunde lässt sich blicken.

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