Fürther Friedhof: Verwirrung um wankende Grabsteine

22.8.2016, 11:00 Uhr
Fürther Friedhof: Verwirrung um wankende Grabsteine

© Archivfoto: Thomas Scherer

Walter H. wollte der Sache eigenhändig auf den Grund gehen. Er begab sich also zum seit Jahrzehnten bestehenden Familiengrab und begann, am etwa 1,50 Meter hohen Marmor-Grabstein zu rütteln. Nichts.

Walter H., kein Muskelprotz, aber auch kein grobmotorischer Hänfling, rüttelte stärker, stemmte sich mit Macht dagegen – und schaffte es nach mehreren Versuchen tatsächlich, den Stein leicht ins Schaukeln zu bringen. Aha, dachte Walter H. – und fragte sich: Wenn ich mich dafür schon so plagen muss, für wen oder was soll von diesem Grabstein eigentlich ernsthafte Gefahr ausgehen?

So recht beantworten konnte das auch keiner der Steinmetze, die er danach konsultierte. Die ließen sogar relativ ungeniert durchblicken: In vielen Fällen können auch sie nur milde lächelnd mit den Schultern zucken, sei ein Eingreifen doch nicht gerade zwingend geboten.

Obwohl die Handwerker selbst davon kräftig profitieren. Um die 300 Euro werden im Schnitt pro Instandsetzung fällig. In der Woche, als Walter H. die Reparatur beauftragte, hatten allein bei dem Steinmetz seiner Wahl ein paar Dutzend weitere Betroffene nach neuem Halt gesucht.

Exakt 325 Fürther Haushalte wurden von ihm angeschrieben, sagt Marcus Weier auf Anfrage der FN. Weier ist stellvertretender Leiter der Friedhofsverwaltung und als Sachbearbeiter für sämtliche Grabmale mit mangelnder Standfestigkeit zuständig. Und Weier kriegt den ganzen Ärger jener ab, die nicht begreifen können, was das alles soll.

Wie viele das sind, verrät er nicht – aber nicht gerade wenigen müsse er geduldig die Sachlage erläutern. Und die sieht so aus: Gemäß den Praxisrichtlinien des Bundesinnungsverbands der Steinmetze wird die Stabilität jährlich mit einem Spezialgerät, dem sogenannten Kipptester, überprüft. 50 Kilo muss der Stein aushalten, ein geeichter Manometer zeigt an, wann die erreicht sind.

Keine Dübel

Gibt der Stein nach, muss der Handwerker anrücken. Die Ursache, so Weier, ist in den allermeisten Fällen dieselbe: Früher war es noch nicht, wie seit einigen Jahren, vorgeschrieben, dass ein langer Dübel aus rostfreiem Stahl Grabstein und Fundament verbindet – ein ordentliches Stück in die eine, ein ordentliches Stück in die andere Richtung.

Stattdessen verwendete man Zement zum Fixieren. Der wird durch Frost, eindringenden Regen oder Wurzeln mit der Zeit brüchig, der Stein beginnt zu wackeln. So weit, so nachvollziehbar. Doch ist das nicht ein bisschen zu penibel, ein bisschen zu deutsch?, fragt sich Walter H. eingedenk seiner Fitnesseinheit auf dem Friedhof.

Weier gesteht zu, dass die Maßnahme manchmal schwer nachvollziehbar sein kann – die Vorschrift aber gelte nun mal für alle, ohne Ausnahme und strikt. Erst recht, seit 2003 und 2008 auf Rügen und in Mettendorf bei Roth zwei Mädchen, vier und sieben Jahre alt, von umstürzenden Grabsteinen erschlagen wurden.

Natürlich, sehr wahrscheinlich ist so etwas nicht, weiß auch Marcus Weier – auf einem 300 000 Quadratmeter großen Friedhof mit rund 20 000 Grabsteinen, wie in Fürth, jedoch auch nicht gänzlich auszuschließen.

Der Mann aus der Friedhofsverwaltung spricht von einem „Worst-Case-Szenario“, also dem denkbar schlimmsten Fall, den man sich vorstellen kann. Sei die Standsicherheit früher gern noch etwas laxer gehandhabt worden, so hätten die tragischen Unglücke Kommunen sensibilisiert. Seitdem werde die Richtlinie „konsequent befolgt“.

Auch im Fall von Walter H. 297,50 Euro bezahlte er für die Arbeit des Steinmetzes – und darf sich nun wohl auf der absolut sicheren Seite wähnen.

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