Fürthermare-Frottee

25.4.2012, 13:00 Uhr
Fürthermare-Frottee

© Sobczyk

Die Treppenstufen, die in den ersten Stock führen, sind ausgetreten. Die Dielenbretter knarzen, das Licht der Lampen wirft verzerrte Schatten an die Wand. In dieser Wohnung verbrachte Jakob Wassermann seine fünf ersten Jahre. Jetzt stehen die Räume leer, das Haus in der Blumenstraße 28 wird saniert. Ein perfekter Ort, sagt Kulturamtschefin Claudia Floritz, um sich einen „literarischen Absacker“ zu genehmigen.

Das ist richtig. Ein emotionalerer Lese-Platz ist in Fürth derzeit schwerlich zu finden. Wie aber lässt man „Wassermanns Geist“ erspüren? Einfache Antwort: Man setzt Matthias Egersdörfer an diese Aufgabe. Der Misanthrop vom Dienst ist schon allein deshalb der Richtige, weil er sich nicht lange mit irgendwelchen feierlichen Vorgeplänkeln aufhält, sondern bloß lapidar verrät: „Das Ganze erinnert mich an illegale Fürther Kellerkneipen von einst. Mich wundert nur, dass die Stadt jetzt anscheinend in eine ganz ähnliche Richtung geht.“

Die kurzen Texte, die der Kabarettist mitgebracht hat, richten den Blick konsequent auf den fränkischen Mikrokosmos. Das ist so überzeugend, dass man sich irgendwann fragt, ob man überhaupt mehr kennen muss, um diese Welt zu deuten. Egersdörfer teilt seine Erkenntnis über das entschleunigte Tempo der Rolltreppe von und zur U-Bahn Jakobinenstraße mit seinen Zuhörern. Er richtet den Fokus auf die Spekulier-Spinnen unter der Kurgarten-Brücke und lässt am grundsätzlichen Dilemma des weißen Fürthermare-Frotteebademantels teilhaben.

Heinrich Filsner untermalt die Geschichten an seiner Bass-Ukulele. Stimmungsvoll ist das. Wenn auch ein kleines bisschen verstörend. Hat doch Matthias Egersdörfer bei diesem sehr fürtherischen Spät-Treffen plötzlich beinahe zärtliche Töne im Repertoire. Und weil es gar so schön ist, singt er den vielen, die in Wassermanns Wohnung jeden möglichen Platz besetzt haben, auch noch das einprägsame Gute-Nacht-Lied: „Wenn im Dorf die Bratkartoffeln blüh’n...“

Noch gefühlvoller kann man literarisch nicht absacken.

„Spät Lesen!“ steht bis Sonntag, Schlusstag des „Lesen!“-Literaturfests, auf dem Programm — täglich zwischen 22 und 23 Uhr, Einlass ist um 21.30 Uhr, der Eintritt frei. Schauplatz ist stets die alte Wassermann-Wohnung in der Blumenstraße 28.

Aus seinem Buch „Mein Traum vom Dulden. Eine deutsch-jüdische Begegnung der anderen Art“ liest am heutigen Mittwoch Literaturkritiker und Schriftsteller Michael Zeller. Es folgt am Donnerstag Stadträtin Susanne Jahn, Vorsitzende des Fördervereins des Jüdischen Museums Franken, mit Auszügen aus Wassermanns „Gänsemännchen“ und Musik-Einsprengseln aus „Aus der Welt“, der Oper des Fürther Komponisten Uwe Strübing. Aus dem „Tagebuch aus dem Winkel“ trägt Stadttheater-Star Jutta Czurda am Freitag vor. Tags darauf starten Rainer Bergmann und Franz Janetzko eine garstige, Wassermann gewidmete Musikperformance für Cello und Saxofon. Den Abschluss macht am Sonntag der Nürnberger Autor Godehard Schramm.fn

 

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