Glühende Gleise in der Nacht

7.9.2009, 00:00 Uhr
Glühende Gleise in der Nacht

© Thomas Scherer

Endré Graff sitzt im Bauch der Maschine. Vor ihm eine Instrumententafel wie im Flugzeug, hinter der Scheibe die stählernen Hämmer. Um 22.30 Uhr hat seine Schicht begonnen, vor ihm liegt die ganze Nacht. Langweilig? Das wäre mal schön, sagt der Mann aus Bochum. Aber in den nächsten acht Stunden muss er sich richtig konzentrieren, damit die Stopfmaschine mit ihrer gewaltigen Kraft die nagelneuen Schwellen nicht kaputt haut.

30 Meter ist der Koloss lang und vibriert schon im Ruhezustand, bevor sich die stählernen Räder von der Seite unter die Gleise schieben und die Stopfhämmer in den Schotter tauchen und ihn rüttelnd verfestigen. Dann wird es richtig laut, innen wie außen. Der Dieselmotor röhrt, die Maschine hebt die tonnenschweren Schienen an und richtet sie millimetergenau aus. Höhe, Abstand, Richtung - alles muss stimmen.

Gleisbaumaschinist Graff nimmt den Kaffee vom Armaturenbrett und blickt auf die Instrumente. Es geht los. Nur noch wenige Nächte wird die Stopfmaschine in Fürth arbeiten, dann wartet der nächste Einsatz. Mitsamt Besatzung war das gelbe Ungetüm schon in ganz Europa unterwegs, hatGleise in England, Frankreich und Schweden verlegt. Das mache «Riesenspaß», sagt Peter Kempf. Als Baumaschinenführer hat er mehr als 30 Jahre Erfahrung und erlebt, wie die Stopfmaschinen «von Generation zu Generation» immer schneller werden.

Wie Hund und Herrchen

Zur Grundbesatzung gehören ein Schachtmeister, zwei Maschinisten und der Mann auf dem Schotterpflug, der der Stopfmaschine folgt wie ein Hund seinem Herrchen. Er kehrt die Schwellen mit einem robusten Gummibesen und sammelt überflüssige Steine auf. Manfred Kretz, der zuständige Projektleiter für den S-Bahn-Abschnitt zwischen Nürnberg und Fürth, schaut genau hin.

«Je besser die Bautrupps arbeiten, desto bequemer reisen unsere Fahrgäste», sagt Kretz. Außerdem ist der Einsatz der Spezialfirma aus Herne kein billiger: Rund 10 000 Euro kostet eine Schicht. Allerdings gehört auch das Messpersonal dazu, das mit Lasern ausgerüstet ist und der Stopfmaschine die Maße vorgibt. 4,70 Meter sind es an der Stelle vor der Hauptpost, plus zwölf Millimeter. Alles nach Plan.

Anderthalb Kilometer hat die Bahn schon gebaut, ab Stadtgrenze bis zum Hauptbahnhof. Seit Anfang August und rund um die Uhr. Tagsüber sind bis zu 35 Männer auf der Baustelle, nachts um die 20. Weil ihr Leben auf dem Spiel steht, müssen die Anwohner der Bahn seit Wochen auch das Hupen erdulden: Die Warnlaute müssen den Lärm der Baumaschinen übertönen.

Dabei hat die Bahn sich schon ins Zeug gelegt: Die Zahl der Männer und Frauen vom Sicherheitsdienst, die in gelben Westen an der Baustelle stehen, ist erhöht worden, statt Hupen verwenden sie die im Vergleich leiseren Tröten. Und einen Vorteil hat das Bauen vorm Bahnhof: Die Züge können zumindest nachts umgeleitet werden, die Bauarbeiten finden nur zum Teil an befahrenen Gleisen statt. Gleis eins vor dem Hauptbahnhof liegt totenstill, es wird demnächst zurückgebaut und macht - zusammen mit dem Bahnsteig direkt am Bahnhofsgebäude - der S-Bahn Platz. Derzeit arbeiten die Trupps an Gleis zwei, in dieser regnerischen Nacht speziell an einer Weiche.

Viel Spiel ist nicht. Auf ein Zehntel Millimeter genau müssen die Schienenstränge - jeder einzelne ist 120 Meter lang und wiegt 7200 Kilo - verlegt werden. Wo sie aneinander stoßen, beträgt der Abstand allenfalls einen Daumen. Eine notwendige Lücke, denn der Stahl dehnt sich an heißen Sommertagen aus.

Auf Kurs gebracht

Gleisbautrupps schließen die Lücke. Per Hebelstange wird die Schiene auf Kurs gebracht, der stufenfreie Übergang mit langen Linealen geprüft. Dann legen die Arbeiter die «Packung» an: Aluminium und Sauerstoff reagieren miteinander, die Nahtstelle zwischen den Schienen glüht. Schließlich schlagen die Männer überstehende Teile ab und fräsen den Übergang plan. Ein Funkenregen stiebt durch die Nacht. Später werden sie alle 65 Zentimeter Federklemmen setzen, die Schienen und Schwellen verbinden. Auch die Oberleitungen müssen ausgerichtet werden.

Während die Regenfront drohend aufzieht, schnappen sich die Arbeiter die dicken orangefarbenen Jacken. Gearbeitet wird bei jedem Wetter. Es zählt jetzt jede Stunde: Bis zum 11. September, wenn die Vollsperrung der Strecke beginnt, müssen die Gleise liegen und die Kabel angeschlossen sein. In den drei Tagen bis zum 14. nimmt die Bahn dann das neue Stellwerk in Betrieb, prüft, ob alle Signale und Weichen richtig angeschlossen sind und funktionieren.

Alte Schienen übrigens werden, so sie nicht abgefahren sind, im Bergbau verwendet. Die übrigen sägen die Bautrupps in kleine Stücke, sie sind Schrott wie die hölzernen Schwellen.

Die sechs neuen Kilometer zwischen Nürnberg und Fürth, sagt Manfred Kretz, waren einfach: Die Flächen gehörten der Bahn, die Strecke war eben. Bald steht der schwierigste Teil, der Fürther Bogen, an. Dort müssen Hänge mit Stützwänden und Bohrpfählen gesichert und vier Gleise verschwenkt werden. Dann rückt auch wieder die Stopfmaschine an.