Große Unterschiede bei einem kleinen Stück Metall

5.8.2011, 22:00 Uhr
Große Unterschiede bei einem kleinen Stück Metall

© Thomas Scherer

Der Charme einer Schraube erschließt sich vielen Menschen sicher nie. Bei Anna-Maria Pylypiw ist das anders. Ein Blick in eine Schachtel mit „schönen Schrauben“ verzaubert die gebürtige Spanierin bisweilen wie andere Frauen das Schaufenster eines Juweliers. Aus einem kleinen Pappkarton fischt die 62-Jährige ein längliches Ding heraus. Es ist eine Holzschraube mit Torx-Antrieb. Die Frau blickt anerkennend auf das bisschen Edelstahl in ihrer Hand. „Schauen Sie, wie schön gearbeitet das ist, wie gut gekantet.“ Ein deutsches Produkt, das sehe man allein schon daran, dass die sternförmige Vertiefung im Kopf exakt in der Mitte sitze, nicht daneben, wie bei manchen Asien-Importen.

Anna-Maria Pylypiw ist die Frau von Richard Pylypiw — und im Geschäft seine rechte Hand. Vor 32 Jahren haben die Eheleute den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt. 30 Jahre waren beide alt und die Töchter noch klein, Eva-Maria zählte gerade mal zwei, Annemarie fünf Jahre. Pylypiw, gebürtiger Oberpfälzer mit Wurzeln in der Ukraine und gelernter Maschinenbautechniker, hatte in Nürnberg Schrauben verkauft, ehe er 1979 sein eigenes Geschäft aufmachte, den Schraubenhandel Fürth.

Der Titel sollte einprägsam sein und schlicht. Sein Nachname, meint der Chef, habe sich da nicht recht angeboten. Standort war zunächst die Amalien-, seit 1997 ist es die Ludwigstraße. Hand- und Heimwerker finden hier neben Schrauben und Muttern auch Dübel, Karabiner, Bohrer — eben das, was sie brauchen, um alle denkbaren Verbindungsprobleme zu lösen.

Der Anfang war hart: Sieben Jahre kein Urlaub, erinnert sich Pylypiw. Nebenher habe seine Frau den Führerschein gemacht, manche Fahrstunden wurden zu Lieferzwecken genutzt. Dazu muss man wissen: Zu Pylypiws Abnehmern zählen nicht nur Privatkunden, die in den Laden kommen, sondern auch und vor allem Industrie und Handwerksbetriebe.

Auch die Gattin erinnert sich an die Anfangszeit: Eine Schraube war für sie, eine gelernte Schneiderin, die als Gastarbeiterin nach Deutschland gekommen war, eben eine Schraube und die deutsche Sprache noch steiniges Gelände. Dennoch stand sie vom ersten Tag an mit im Geschäft und gab ihr Bestes, wenn die Kunden Kerbnägel wollten oder Zollschrauben.

Wegen einer einzigen Senkkopfschraube steht jetzt Stammkunde Axel Wiemer im Geschäft. Der Maschinenbauer und Kommandant der Freiwilligen Feuerwehr Fürth-Stadt sucht Größe 10x25 mit metrischem Gewinde. „Wenn du so was überhaupt im Baumarkt kriegst“, sagt er, „dann nur in größeren Verpackungseinheiten.“ Wiemer verlässt den Laden mit zwei Senkkopfschrauben à 40 Cent. „Die zweite ist für den Fall, dass mir die andere runterfällt und ich sie nicht mehr finde.“

Pylypiw und sein vierköpfiges Team — neben der Ehefrau zählen dazu die ältere Tochter, deren Gatte und ein Mitarbeiter — hantieren behutsam mit ihrer Ware. Kein Wunder: Eine kleine Pappschachtel mit 5000 schwarzen Zollschräubchen ist leicht tausend Euro wert. Ergießen die oder noch kleinere Kostbarkeiten wie Brillenschräubchen sich doch mal auf den marmorierten Fußboden, helfen Magnete beim Aufklauben.

Fräsrippen am Gewinde

Fragt man Pylypiw, wie viele Schrauben er im Sortiment hat, zuckt er mit den Schultern. „Wahrscheinlich ist das eine Zahl mit vielen Nullen.“ Bei einem kleinen Rundgang durch das Lager mit den langen Regalen, die bis unter die Decke reichen und vollgestellt sind mit größeren und kleineren Schachteln, wird klar: Es müssen sehr viele Nullen sein.

Das Überleben sei schwierig geworden, sagt der Schraubenhändler am Ende des Rundgangs. Das Internet koste ebenso Kunden wie die wachsende Zahl großer Baumärkte am Stadtrand. In der Hand dreht und wendet er eine Holzschraube. „Qualitätsware, gleitbeschichtet, Fräsrippen am Gewinde, sehen Sie, die winzigen Einkerbungen hier. Wenn Sie eine Terrasse bauen, merken Sie den Unterschied. Diese Schraube lässt sich viel leichter ins Holz drehen als ein Billigprodukt. Das Holz spreißelt da nicht so schnell.“

Pylypiw sagt nicht, dass es bei den Branchenführern nur Billigware gebe. Doch er kritisiert, die Verpackung sei im Baumarkt oft teurer als die Ware an sich. „Und wenn der Kunde dort dann noch das und das und das mitnimmt, dann denk ich mir manchmal: Da hätt’ er sich auch gleich im Taxi zu mir fahren lassen können.“