Immer die Nordsee-Küste entlang

14.11.2010, 15:00 Uhr
Immer die Nordsee-Küste entlang

© Corinna Anton

Die Mutter traute dem Drahtesel nicht. „Dieses Rad, das zwei Wochen in unserem Wohnzimmer stand, soll meinen Sohn so weit durch die Welt tragen?“, fragte sie skeptisch. Doch Armin war nicht von seinem Vorhaben abzubringen, die Nordseeküste auf zwei Rädern zu bereisen.

Unter einer Bedingung ließ die Familie ihn fahren. Alle paar Tage sollte er eine SMS senden, „damit wir wissen, dass du noch lebst.“ Was er beim Zivildienst, den er gerade hinter sich gebracht hatte, gespart hatte, wurde in die Ausrüstung investiert: ein Reiserad, das auch mit bis zu 35 Kilo Gepäck ruhig läuft, samt Ledersattel, der sich nach ein paar Hundert Kilometern dem Fahrer anpasst „und dann richtig bequem ist“, ein Gaskocher, Funktionswäsche und wasserdichte Fahrradtaschen.

Als Armin Mitte Juni aufbrach, steckte ihm die Mutter noch eine Dose Brotaufstrich und zwei Rollen Traubenzucker zu — als eiserne Notreserve. Von Roßtal ging es am ersten Tag bis nach Schweinfurt, dann immer nordwärts bis nach Bremerhaven.

Dort folgte der 20-Jährige dem Nordseeküstenradweg, einem der längsten ausgeschilderten Radwege der Welt, der über 6000 Kilometer immer entlang der Nordsee verläuft: Armin fuhr die niederländische Nordseeküste entlang nach Südwesten, setzte mit der Fähre über nach England. Über Schottland und die Shetland-Inseln führte seine Reise weiter nach Norwegen und Dänemark. Die letzte Etappe gehörte Helgoland, bevor es wieder in Richtung Heimat gehen sollte. Auf der Insel saß er wegen eines Sturms mehrere Tage fest.

Auszeit vor dem Studium

Der Roßtaler, der in seiner Freizeit gerne Rennrad fährt, hatte es aber eilig, denn mittlerweile war schon Ende September und er musste zurück nach Hause, um sich in Erlangen an der Universität einzuschreiben — für den Studiengang Energietechnik. „Deshalb habe ich von Hannover bis Bamberg den Zug genommen. Für die letzten 70 Kilometer bis nach Hause stieg er aber wieder aufs Rad.“

Mit der Tour hat er sich einen Kindheitstraum erfüllt, „der einige Jahre in Vergessenheit“ geraten war. „Mit den Eltern haben wir immer Familienurlaub in Dänemark gemacht. Dort hatte ich vor etwa zehn Jahren die Idee, diese Tour zu machen, als ich die Schilder des Radwegs gesehen habe.“ Zwischen Zivildienst und Studium wollte er sich eine Auszeit dafür nehmen.

Unterwegs schloss er Freundschaften mit anderen Radfahrern. „Mit manchen bin ich einige Tage zusammen gefahren, mit anderen ein paar Stunden oder auch nur ein paar Minuten.“ In England, wo oft kleine, kaum befahrene Straßen als Radwege ausgewiesen waren, freute er sich über die rücksichtsvollen Autofahrer: „Sobald sie mich gesehen haben, sind sie an den Rand gefahren, um mir Platz zu machen, haben mir freundlich gewunken und gewartet, bis ich vorbei war.“

Jetzt wisse er, „dass man die schönsten Erlebnisse hat, wenn man sich dafür anstrengen muss.“ Trotz des rauen Klimas — zum Beispiel auf den Shetland-Inseln — habe er aber nie daran gedacht, das Abenteuer abzubrechen. „Ich war mir immer sicher, Weitermachen lohnt sich.“

Wenn der Regen tagelang nicht enden wollte, wechselte er aber vom Zelt in eine Jugendherberge, „damit die Kleider zwischendurch mal wieder trocken waren.“ Auch das neue Rad hielt durch. Abgesehen von

vier Platten hatte der Roßtaler keine Panne. Die Versorgung mit dem Campingkocher klappte ebenfalls.

Als er nach 104 Tagen wieder in Roßtal ankam, staunte seine Mutter, denn beim Auspacken kamen auch ihr Brotaufstrich und der Traubenzucker wieder zum Vorschein. „Das war eben die eiserne Reserve — und die habe ich nicht gebraucht.“

Nebenbei hat Armin Hermes mit seiner Tour auch noch 1322 Flaschen „Bionade“ gewonnen. Im Internet war er auf eine Aktion aufmerksam geworden: Wer die „längste Radtour des Sommers“ machte, sollte für jeden gefahrenen Kilometer innerhalb von zwei Wochen eine Flasche „Bionade“ bekommen.

Auch wenn dafür „nur“ die ersten 1322 Kilometer zählten, die Armin zurücklegte — insgesamt waren es übrigens genau 7422 Kilometer und 790 Meter — stapeln sich nun die Kästen im Keller.

Einen Teil will er für einen Konvent der Evangelischen Jugend des Dekanats spenden. Denn Armin leitet selbst eine Jugendgruppe in Roßtal und bereitet die Fortbildungsveranstaltung für Jugendleiter mit vor, die im November stattfindet. Was er mit dem Rest macht? „Ausgiebig trinken, und vielleicht darin baden“, lacht der Roßtaler.