Krebsmittel-Skandal: Fürther Hersteller sind empört

11.12.2017, 06:00 Uhr
Krebsmittel-Skandal: Fürther Hersteller sind empört

© Foto: Thomas Scherer

Mitten in der Stadt, hinter sanierten Altbaufassaden, befindet sich das Zyto-Labor der ABF-Apotheke. Einfach eintreten darf hier niemand. Ein Blick durch die Glasscheibe zeigt Menschen, die Schutzanzüge tragen, Hauben, Mundschutz, Handschuhe. Sie hantieren mit Flüssigkeiten, Spritzen, Beuteln, Etiketten. Ihre Bewegungen wirken konzentriert und hocheffizient.

Die ABF ist ein mittelständisches Familienunternehmen mit rund 140 Beschäftigten. Sie verkauft unter anderem selbst gefertigte Infusionslösungen zur individuellen Versorgung von Patienten mit Antibiotika, intravenöser Nahrung, Schmerzmitteln oder eben Zytostatika. In Mittelfranken stellen 13 weitere Apotheken Krebsmedikamente her. ABF-Generalbevollmächtigter Max Schreier nennt sein Haus "einen der größten Anbieter von Zytostatika-Rezepturen in Nordbayern". Stückzahlen möchte er aus Wettbewerbsgründen nicht angeben, doch sagt er, die Onkologie mache einen "wesentlichen Teil der Produktion" im so genannten Reinraumlabor aus, zu dem zwei Sterillabore gehören. Fest steht: Im Geschäft mit Zytostatika, die stets frisch und rasch verfügbar sein sollen, geht es nicht selten um Leben und Tod und immer um viel Geld, in Deutschland werden damit jedes Jahr Milliarden umgesetzt.

Rund 25 Apotheker und Pharmazeutisch-Technische Assistenten beschäftigt die ABF in ihrem "gläsernen Labor", wie Schreier es nennt. Soll heißen: Zu verbergen gibt es hier nichts. Die Botschaft ist zurzeit vielleicht besonders wichtig. Denn der Skandal um Peter S. aus Bottrop wirft allerorten die Frage auf: Kann das auch bei uns passieren? Der Mann soll sich, wie berichtet, mit Unterdosierungen und Placebos in großem Stil bereichert und allein die gesetzlichen Krankenkassen um 56 Millionen Euro betrogen haben. Leidtragende sind laut Anklage über tausend Patienten.

Max Schreier zeigt sich "extrem erschüttert" von so viel krimineller Energie. "Es ist jenseits aller Vorstellungskraft, dass ein Heilberufler leere Trägerlösungen abgegeben haben soll." Dr. Iris Hofmann, Apothekerin und pharmazeutische Leiterin bei ABF, verweist empört auf das Berufsethos, das man in ihrer Zunft haben müsse. Auch Christine Schnitzer, Leiterin der Apotheke am Klinikum Fürth, wo 2015 ein "Zyto-Labor" eingerichtet wurde, entrüstet sich über den Fall, der jetzt die Justiz beschäftigt: "Das ist ein Wahnsinn!"

Bis über 10 000 Euro

Das Labor am Klinikum beschreibt sie als eine eher kleine Produktionsstätte zur Versorgung der Stationen und einer im Haus niedergelassenen onkologischen Praxis. Pro Jahr stelle man rund 5000 individuelle Krebstherapeutika her. Die Preise für die Einzeldosis sind laut Schnitzer höchst unterschiedlich. "Das geht von unter 100 Euro bis über 10 000 Euro pro Infusionsbeutel." Besonders teuer seien neue Wirkstoffe, die in klinischen Studien gut abgeschnitten haben.

Schnitzer und Schreier wissen, dass unter Krebskranken zurzeit eine gewisse Verunsicherung herrscht. So erfuhr Schnitzer kürzlich, dass eine Patientin die Sorge umtrieb, ihr könnten am Klinikum Fürth Infusionen verabreicht werden, die der angeklagte Peter S. gemixt hat. "Dieser Frau konnte ich versichern", sagt Schnitzer, "dass das natürlich nicht der Fall ist." Placebos und Unterdosierungen, beteuern die Verantwortlichen von ABF und Klinikum, seien bei ihnen schier undenkbar — schon deshalb, weil man alle Abläufe minutiös dokumentiere und nach dem Vier-Augen-Prinzip produziere.

Beispiel ABF: Nach der Schilderung von Schreier und Hofmann bringen Boten von ihren Lieferfahrten zu Praxen in Nordbayern Rezepte mit, die zunächst am Computer auf Plausibilität geprüft werden. Die interne Warenwirtschaft erhalte dann den Auftrag, die Substanzen bereitzustellen, das Labor eine Herstellungsanweisung. Würde weniger eingekauft als angeblich verbraucht, so Schreier, fiele das auf. Im Labor selbst arbeiten zwei Teams parallel, die sich immer wieder neu formierten.

"Keinerlei finanzielle Anreize"

"In der Größe des Unternehmens liegt auch die Sicherheit, dass nichts Unsauberes abläuft", sagt Schreier. Und Schnitzer erklärt, in ihrem Betrieb als Teil des Gesamtunternehmens Klinikum, in das auch die Gewinne aus dem Zytostatika-Geschäft flössen, gebe es für betrügerische Aktionen ohnehin "keinerlei finanzielle Anreize mit Aussichten auf Millionengewinne".

Dass in der ambulanten Krebstherapie Bestechungen gang und gäbe sein sollen, dass Ärzte von Apothekern angeblich Geld fürs Schicken ihrer Rezepte fordern, wie nun Investigativ-Reporter Niklas Schenk, Mitautor des Buches "Die Krebsmafia" dieser Zeitung bestätigte, hält Max Schreier für unwahrscheinlich. Mediziner, die die Hand aufhalten, seien ihm "nie untergekommen". Es mag schwarze Schafe geben, meint Schreier, zeigt sich aber überzeugt: "Die Branche arbeitet zu 99 Prozent sauber." Ärzte, mit denen ABF kooperiere, übten ihren Beruf "mit Herzblut und Leidenschaft" aus.

Zu etwaigen mafiösen Strukturen der Branche "liegen uns keine Erkenntnisse vor", so die Regierung von Oberfranken, der die Kontrolle hiesiger Zyto-Labore obliegt. Sie benennt Sachverständige, die die Betriebe üblicherweise alle drei Jahre unter die Lupe nehmen und sich dann "allgemein" oder, wenn ein bestimmter Mitarbeiter da sein soll, mit Termin ankündigen. In den letzten Jahren, heißt es aus Bayreuth, gab es in Mittelfranken "kleinere Beanstandungen" in Bezug auf Räume, Einrichtungen und Hygienemonitoring.

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