Kriminologe: "Man wird nicht als Gewalttäter geboren"

6.11.2019, 21:00 Uhr
Der Kriminologe Christian Pfeiffer ist überzeugt: Ob ein Kind destruktiv oder gut wird, entscheidet die Erziehung.

© Colourbox.de Der Kriminologe Christian Pfeiffer ist überzeugt: Ob ein Kind destruktiv oder gut wird, entscheidet die Erziehung.

"Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig." Dieser Grundsatz steht seit November 2000 im deutschen Familienrecht. Die Überzeugung, dass eine Ohrfeige noch niemandem geschadet hat, ist allerdings trotzdem noch weit verbreitet.

Kriminologe:

© Dieter Schwab

Der renommierte und aus etlichen Talkshows bekannte Kriminologe Professor Dr. Christian Pfeiffer, von 2000 bis 2003 niedersächsischer Justizminister, hat für sein soeben erschienenes neues Buch untersucht, ob Liebe und Gerechtigkeit die besten Waffen gegen Gewalt sind. Bei seinem Besuch in Fürth sprach der 75-Jährige auf Einladung des evangelischen Dekanats darüber.

"Ob ein Kind destruktiv oder gut wird, entscheidet die Erziehung" – davon ist Pfeiffer überzeugt. Ein liebevoller Umgang beim Erwachsenwerden schaffe einen empathischen Menschen. Um das zu untermauern, werden in Pfeiffers Heimat-Bundesland Niedersachsen, wo er Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts war, alle zwei Jahre 10 000 Jugendliche dazu befragt, wie sie von ihren Eltern behandelt werden.

Doch nicht nur das Verhalten gegenüber anderen werde dadurch beeinflusst, so Pfeiffer, sondern auch die Zufriedenheit mit dem eigenen Leben. Unter den Jugendlichen, die sagen, dass bei ihnen zuhause ein entsprechender Umgang gepflegt wird, sind nach seinen Erkenntnissen 61 Prozent zufrieden mit ihrem Leben, nur sechs Prozent hatten Pfeiffer zufolge schon einmal Selbstmordgedanken.

Bei jenen, die von ihren Eltern geschlagen werden, sieht es ganz anders aus: Nur neun Prozent von ihnen sind generell zufrieden, 48 Prozent hatten schon einmal Selbstmordgedanken.

Doch die Entwicklung macht Mut: Seit den dreißiger Jahren ist die Gewalt gegen Kinder um 80 Prozent zurückgegangen, auch Gewaltdelikte von Jugendlichen treten weniger oft auf. In den vergangenen 30 Jahren sei die Zahl der Sexualmorde in Deutschland um 90 Prozent gesunken, sagt Pfeiffer. Sein Schluss: "Man wird also nicht als Gewalttäter geboren, sondern dazu gemacht. Je weniger exzessive Gewalt es in der Erziehung gibt, desto geringer ist auch die Gewaltbereitschaft bei Kindern und Jugendlichen."

Lindgrens Widerstand

Wie akzeptiert die körperliche Züchtigung in Deutschland lange war, belegt der Fachmann mit einer Anekdote im Zusammenhang mit der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels im Jahr 1978. Die damalige Preisträgerin, die weltbekannte schwedische Kinderbuchautorin Astrid Lindgren, wurde gebeten, die von ihr eingereichte Dankesrede nicht zu halten – weil sie sich darin gegen jegliche Gewalt gegen Kinder aussprach. Eine Einstellung, die mit dem damaligen deutschen Erziehungssystem nicht zu vereinbaren gewesen sei. Lindgren machte die Rede zur Bedingung für ihr Erscheinen beim Festakt und setzte sich schließlich durch.

Was Pfeiffer bei seinen Untersuchungen ebenfalls herausgefunden hat: Wenn Menschen Verbrechen begehen, sei die Art und Weise, wie sie bestraft werden, oft ausschlaggebend dafür, wie sie sich in Zukunft verhalten. So habe eine Studie ergeben, dass die Gewalt in den Gefängnissen, in denen die Insassen sich am gerechtesten behandelt fühlen, am geringsten ist.

Doch schon die Rechtsprechung spiele eine gewichtige Rolle, wenn es darum geht, künftige Gewaltdelikte zu vermeiden. Eine Untersuchung unter 18 Jugendrichtern und 1500 jugendlichen Straftätern in München habe gezeigt, dass die Wiederholungsgefahr am geringsten ist, wenn die Richter Milde zeigen. "Der Jugendrichter, der sich am meisten auf die Jugendlichen eingelassen hat und bei dem sie das Gefühl hatten, dass er sich um sie und ihre Situation kümmert, hatte die geringste Rückfallquote", so der Kriminologe.

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