Lattenzaun mit Zwischenraum

19.12.2009, 00:00 Uhr
Lattenzaun mit Zwischenraum

© Gerd Axmann

Die große laute «Hoppla, jetzt komm’ ich«-Nummer war Brigitte Dörings Sache noch nie. «Es ist eigentlich nichts umwerfend Neues«, sagt die Schauspielerin denn auch prompt über ihr Projekt «Poetenkoffer«. In der Tat, das Genre «Szenische Lesung mit Musik« hatte schon mal bessere Zeiten, und die liegen ein paar Tage zurück. Wer auf der aktuellen Trendwelle surfen will, der nennt seine Abende Poetry Slam und packt jede Menge Ironie und hirnerweichende Selbstreflexion hinein.

Döring aber, die man eher nicht beleidigt, wenn man sie eine Mimin alten Schlages nennt, weist gern darauf hin, «dass es Dichtkunst bereits vor den Poetry Slams gab«. Daran will sie ab sofort und stets an einem Sonntag im Monat in ihrem zweiten Wohnzimmer namens Kofferfabrik (Lange Straße 81) erinnern.

Der Poetenkoffer öffnet sich morgen erstmals um 16 Uhr, und heraus fliegen Gedichte von Christian Morgenstern. Der Münchner Poet, der im Kriegsjahr 1914 in Meran starb, wird bis heute geschätzt für seinen mit Sprachwitz versehenen Scharfsinn («Es war einmal ein Lattenzaun mit Zwischenraum, hindurchzuschau’n«).

Zur Lesung gibt es Kaffee und Kuchen, und was das Eintrittsgeld betrifft, so kreist der Hut. 5 Euro, so Döring, wären nett, bleiben aber freiwillig.

Die nächsten Poetenkoffer öffnen sich für Walter Mehring (17. Januar), Ernst Jandl (21. Februar) und Ingeborg Bachmann (7. März, aber nicht um 16, sondern um 18 Uhr). Zur Stammformation der Nachmittage zählen morgen und bis auf weiteres Döring, Udo Martin und Esther Sambale; hinzu kommen Gäste aus der freien Schauspiel- und Musikszene der Region.

Schauplatz ist das Theater in der Kofferfabrik, wo bereits am heutigen Samstagabend (20 Uhr, 10/7 Euro) zum letzten Mal in diesen Vorweihnachtstagen die fest-kritische Revue «Advent, Advent, ein Englein brennt...« zu sehen ist. Konzept und Regie hat ebenfalls Döring, die bis mindestens Ende März - «danach schauen wir weiter« - das Theaterprogramm der «Koffer« konzipiert und von Martin, dem Chef des Kulturzentrums nahe der Stadtgrenze, «völlig freie Hand hat«.

Auf die Adventsrevue mit Texten unter anderem von Tucholsky, Heine und Loriot sowie Liedern von Jacques Brel folgt morgen, am Sonntagabend, um 20 Uhr der dritte Döring-Streich des Wochenendes. Das «Nachtcafé Zum Untergang« hat sich seit der Premiere im Frühjahr zum «Koffer«-Dauerbrenner entwickelt. Dörings Ensemble - darunter die Poetenkoffer-Crew, Hannes Göldner, Peter Fidel und Vera Unger - widmet sich Geschichten dreier Autoren, die der Weimarer Republik ihren kabarettistischen, journalistischen, dichterischen Stempel aufdrückten: Kurt Tucholsky, Walter Mehring und Erich Kästner. Eintrittskarten gibt es an der Abendkasse zum Preis von 10 (ermäßigt 7) Euro oder vorab unter Tel. 706806.MATTHIAS BOLL