Lob des Rausches

6.8.2014, 11:20 Uhr
Lob des Rausches

© Foto: Thomas Scherer

Sex and Drugs and Rock ’n’ Roll, das ist keine Erfindung der Amerikaner des 20. Jahrhunderts, das gab es schon in der Antike, schlag nach bei Catull. Während der alte Römer schon früh zum Orkus hinabfuhr, brachte es der persische Dichter Hafis auf stattliche siebzig Jahre. Die verbrachte er entweder in der Schenke oder auf dem Diwan. Ein Diwan ist nicht nur ein Sitz- oder Liegemöbel, sondern auch die Bezeichnung für ein geselliges Treffen, so wie der Salon nicht nur ein edler Raum ist, sondern den kulturellen Austausch der Bildungsbürger bezeichnet.

Zu einem richtigen Diwan gehören nicht nur Speis und Trank, sondern eine Musikantengruppe, die die Gesellschaft auf den Auftritt eines Dichters, Sängers oder Erzählers einstimmt und diesen begleitet. Genauso haben es auch die Veranstalter des Fränkischen Sommers konzipiert: Das „Ensemble Sarband“ unter der Leitung von Vladimir Ivanoff musizierte auf für westliche Ohren exotischen Instrumenten wie Psalter, Schoßfiedel, Schilfrohrflöte und Tambourin. Dazu rezitierte Dirk Kruse Übersetzungen bzw. Nachdichtungen der mystischen Lyriker Hafis und Rumi aus der Feder von Friedrich Rückert und Johann Wolfgang Goethe. Mit Rückert ist die Brücke zum fränkischen Okzident geschlagen, denn der große, in Erlangen wirkende Orientalist hat die bis heute maßgeblichen Übertragungen angefertigt und das Ghasel populär gemacht.

Wovon singt nun Hafis? Er besingt den Rausch, den er nicht als Verwirrung der Sinne empfindet, sondern vielmehr als Steigerung und Erweiterung derselben, quasi als Weg zur Erkenntnis des kosmischen Zusammenhangs aller Dinge. Das kann der Weinrausch sein, aber auch der Liebesrausch oder die Hingabe in Gebet und Tanz. Zielpunkt ist Allah, der sich in allen Dingen offenbart, so wir denn nur die Augen zu öffnen vermögen.

Wenn Hafis also in der Schenke zur Erleuchtung gelangt, dann ist er sowohl der Gast als auch der Wirt, der Beschenker und der Beschenkte. Er ist die Traube und die Kelter, der Becher und der Wein. Der Dichter als Beobachter und Sänger löst sich auf in die Bestandteile seiner Umgebung und erst das Zusammenspiel sämtlicher Bestandteile ergibt den Akt, in dem Allah seine Gnade offenbart: was wächst, wird geerntet, verwandelt sich in spirituöses Getränk, löst im Hirn des Trinkers ekstatische Zustände aus, die wiederum zur mystischen Erkenntnis führen. Somit ist Trinken, Dichten und Gottesschau für Hafis ein und dasselbe.

Der Hörer freut sich – und fragt sich, wann überhaupt ein derart produktiver Geist wie Friedrich Rückert, dessen eigene Lyrik mit Ausnahme der Kindertotenlieder sich in Exzessen eher zurückhält, jemals Zeit für ein ordentliches Gelage gefunden habe. Da mag Goethe durchaus intensivere Erfahrungen gemacht haben, denn seine von Hafis inspirierten Dichtungen sind weniger trunken von Gottesschau als eher verspielt und mehr dem Diesseitigen zugewandt.

Neben der Lesung auf Deutsch vernahmen die Zuhörer aber auch echte alt-osmanische Texte, allesamt geistlichen und mystischen Inhalts, die Mustafa Dogan Dikmen in einem Sprechgesang darbot. Auch wenn man kein Wort versteht, so ist man doch ergriffen von der Hingabe des Gesangs und der konzentrierten musikalischen Begleitung, die das Exzessive vermeidet, dafür einen reizend meditativen Kontrapunkt setzt. Ein beglückendes, ja berauschendes Erlebnis in der Abenddämmerung unter freiem Himmel – und ganz ohne Katzenjammer am Morgen danach.

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