Manege des Lebens

23.6.2016, 13:30 Uhr
Manege des Lebens

© Foto: Stadttheater

Es qualmt und lärmt. Das muss die Hölle sein. Eine graue Menschenmasse bewegt sich wie ferngesteuert im Takt der industriellen Produktion, kämpft verbissen mit grauen Holzwürfeln, die nur mit Mühe bewegt werden können. In dieser lebensfeindlichen Gesellschaft zählt nur das Funktionieren. Hier wird gekämpft bis zum Umfallen. Und würden sich die Akteure am Ende nicht ihre Uniformen vom Leib reißen und in bunten Trikots über die gewürfelte Welt turnen, wäre es schier zum Verzweifeln.

Zu den schönsten Momenten gehört eine Zugfahrt: Aus dem Off weht der Qualm der Lok über die lange Waggonreihe aus Würfeln. Die hineingequetschten Fahrgäste reichen, selbst qualmend, eine Zigarette von vorne bis nach hinten durch. Jacques Heim, künstlerischer Leiter von Diavolo, der auch schon für den Cirque du Soleil und die Eröffnungszeremonie der Asian Games in China choreografierte, arbeitet in Bildern, die er als Architektur in Bewegung bezeichnet.

Angesiedelt zwischen Ballettsaal und Manege, lebt diese Kunst aus dem Zusammenspiel von Körper und Vehikel. Das funktioniert natürlich nur mit Künstlern, die entsprechende Voraussetzungen mitbringen. Die zwölf Tänzerinnen und Tänzer der Tourneetruppe sind allesamt durchtrainierte Artisten, die einander scheinbar mühelos in halsbrecherischen Aktionen übertrumpfen. Dass dabei die Exaktheit der Bewegung, Anmut und Ausdruckstiefe nicht auf der Strecke bleiben, zeichnet die Ballettkunst des Ensembles aus.

Am großen Rad dreht es in europäischer Erstaufführung nach der ersten Pause mit der runderneuerten Choreografie „Humachina“. Hier hilft ein überdimensionales Gruppen-Rhönrad den Akteuren auf die Sprünge. Zu Grunde liegt die Idee, dass durch die Erfindung des Rades die Gesellschaftsfähigkeit des Menschen ermöglicht wurde. Ein fragwürdiger Ansatz. Doch auf die Wirkung der Arbeit hat der wenig Einfluss. Ob das Rad nun Fluch oder Segen gebracht hat, ist nicht die Frage. Im Mittelpunkt stehen vielmehr die neuen Möglichkeiten, die es der Bewegung im Raum eröffnet.

Perfekte Balance

Präzises Timing und absolute Körperbeherrschung zeichnen das Ineinandergreifen von lebendigen Organismen und starrem Stahl in Bewegung aus. Elegant schlüpfen die Tänzerinnen und Tänzer in die rotierende Maschine und lösen sich ebenso flüssig wieder von ihr. Perfekt austariert, verschmilzt das agierende Ensemble zu einer Einheit. Das anfangs gefährlich anmutende Rad wird zum Spielzeug eines unstillbaren Bewegungshungers.

Das Spektakulärste aber hat sich die Heim-Truppe fürs Finale aufgehoben: Auf einer Bühnenschaukel macht sie das Auf und Ab des Lebens anschaulich. Wie schon bei Humachina steht auch hier das Bemühen um die richtige Balance im Mittelpunkt. Vom Beginn mit Elementen des Schattentheaters steigert sich das Geschehen immer mehr, bis die Akteure regelrecht abheben, durch die Luft segeln. Endlich haben die Amerikaner den Kampf gegen die Schwerkraft gewonnen. Dafür bekommen sie verdient Szenenapplaus. Raffinierte Lichtregie gehört dazu. Nicht auf Effekthascherei ist sie ausgelegt, sondern auf subtile Wirkungssteigerung. In drei spannenden Facetten sprengt das Diavolo Dance Theatre mit einer gewaltigen Energieladung die letzten Fesseln des modernen Tanztheaters.

Weitere Vorstellungen: 23., 24. und 25. Juni, jeweils 19.30 Uhr.

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