Männer im Fokus

23.2.2015, 11:02 Uhr
Männer im Fokus

© Foto: Martin Bartmann

Zack, schlägt das Hackmesser durchs blanke kalte Fleisch. Kein Wunder, Aaron ist schließlich Metzger, deshalb bereitet er die Ware akkurat nach koscherer Vorschrift zu. Und doch erschrickt der Zuschauer jedes Mal, wenn Aaron seinem Handwerk nachgeht. Er tut dies mit einem geradezu protestantischen Arbeitsethos. Müh und Arbeit sind sein Gottesdienst, Perfektion sein Gebet. Und wenn er nicht arbeitet, dann waltet Aaron seines Amtes als Vorbeter in der Synagoge. Ist die Pflicht zu Ende, entspannt Aaron sich im Kreise seiner Familie. Aber selbst da ist von Entspannung nicht viel zu spüren.

Dann tritt der junge Ezri in sein Leben. Der hilft Aaron als Aushilfskraft, wohnt unter seinem Dach, speist mit der Familie - und ist seltsamerweise noch nicht verheiratet. Irgendwann kommen sich die Männer näher. Sie berühren sich. Sie mögen sich. Und auf einmal geht es heiß her...

Seltsam unterkühlt

„Du sollst nicht lieben“ von Haim Tabakman ist für einen Liebesfilm seltsam unterkühlt. Der Zuschauer rätselt, was die beiden Männer aneinander finden. Mag Ezri eine gewisse Virilität ausstrahlen, so verbreitet Aaron eine Aura der Strenge und der Verklemmtheit. Sehr unsexy. Dafür liegt der Schwerpunkt des Films mehr auf der sozialen Kontrolle der Ultra-Orthodoxen in Jerusalem.

Selbsternannte Sittenwächter reden den Abweichlern ins Gewissen, Plakate warnen vor Sündern in den eigenen Reihen. Eine Parallelhandlung erzählt von einer verbotenen Liebesgeschichte zwischen einem jungen Mann und einer Frau. Die denunzierenden Plakate nennen keine Namen, und schüren daher ein Klima der Denunziation und der gegenseitigen Überwachung, das alle und jeden trifft. Denn wer hat keine kleinen Geheimnisse? Schlimmer kann eine Theokratie kaum sein.

Am Ende zerbricht die Liebesgeschichte, Ezri zieht von dannen und Aaron taucht unter, im wahrsten Sinne des Wortes. Geht er ins Wasser wie in einem Lore-Roman? Oder gewinnt er vielleicht doch wieder Land?

Juden sind unverbesserliche Optimisten: „Ich hoffe doch, dass Aaron wieder auftaucht, sich von seiner Familie löst und mit Ezri nach Tel Aviv zieht.“ Der das sagt, heißt Martin Arieh Rudolph, ist Kantor und 1. Vorsitzender der Israelitischen Kultusgemeinde Bamberg - und selbst schwul. Auch Rudolph hatte die Denunziation am eigenen Leib erfahren, aber auch das Verständnis seines Rabbiners und den Rückhalt seiner Gemeinde.

Autonome Gemeinden

Dann ist das Judentum doch recht tolerant? „Nein, das Judentum kann keine Stellung zur Homosexualität nehmen, denn jede Gemeinde ist autonom“, relativiert Rudolph, „in Bamberg ist es okay, woanders werden Schwule und Lesben vom Gottesdienst ausgeschlossen, und für den Rabbi einer anderen Gemeinde wäre ich gar kein Jude. So what!“

Woher rührt denn nun die Homophobie in den heiligen Schriften? Zum einen in den religiösen Geboten des dritten Buch Mose („Du sollst nicht bei einem Mann liegen wie bei einer Frau“), aber auch in der Erzählung von Sodom und Gomorra in der Genesis, Kapitel 19. Die Sodomiter rotten sich vor Lots Haus zusammen und verlangen die Herausgabe der Gäste, die sich als Engel erweisen.

Wozu? Da variieren die Übersetzungen. In der Einheitsübersetzung heißt es neutral: „Wir wollen sie kennenlernen“, in der Lutherbibel „Führe sie heraus, zu uns, dass wir uns über sie hermachen“, und eine ältere Luther-Übersetzung formuliert unmissverständlich: „dass wir unseren Mutwillen mit ihnen treiben.“

Damit ist klar: „Hier geht es um sexuelle Gewalt und nicht um Liebe oder liebevollen Umgang“, stellt Leyla Jagiella, Religionswissenschaftlerin mit Schwerpunkt islamische Gegenwartskulturen, fest.

Während die evangelische Kirche so langsam homo- und weitere sexuelle Lebensformen, die abseits der tradierten Norm verlaufen, akzeptiert, tut sich die römisch-katholische und orthodoxe Kirche schwer. Das reicht vom Ignorieren bis zur Bekämpfung in Wort und Schrift, wobei es zu Allianzen zwischen amerikanisch-evangelikalen Kreisen mit osteuropäisch-orthodoxen Kirchen komme, beobachtet Thomas Pöschl von der ökumenischen Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche (HuK).

Neutral formuliert: „Letztlich stehen zwei universale Strömungen gegeneinander“, stellt die Filmwissenschaftlerin Andrea Kuhn fest. „Zum einen die Menschenrechte mit ihrer Betonung auf der Freiheit des Individuums, und zum anderen die Religion, die ihre Gebote höher stellt als Menschenrechte.“ So weit, so gut. Leider litt die Podiumsdiskussion daran, dass alle Teilnehmer und Zuhörer sich im Großen und Ganzen einig waren. Es wäre allemal interessanter gewesen, hätte jemand seiner Homophobie freien Lauf gelassen, hätte dies mit Argumenten begründet und so Streit entfacht. So aber herrschte Harmonie mit einem leichten Anflug von Selbstkritik: „Auch unter Homosexuellen herrscht Xenophobie und Angst vor anderen Kulturen“, beobachtet Thomas Pöschl.

Übrigens: Nach Sodom und Gomorras Untergang inklusive Lots Weib war die Gegend entvölkert. Um für Nachkommenschaft zu sorgen, schlief Lot mit seinen Töchtern. Das also war der frommste Mann in seiner Stadt . . .

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