Mauerbau: „Ich war wie vom Blitz getroffen“

13.8.2011, 10:00 Uhr
Mauerbau: „Ich war wie vom Blitz getroffen“

© dpa

Frau Dix, welche Erinnerungen haben Sie an den 13. August 1961?

Mauerbau: „Ich war wie vom Blitz getroffen“

Dix: Unsere Schulklasse war gerade auf der Rückfahrt von den Mecklenburgischen Seen über Berlin nach Leipzig, als sich im Zug die Nachricht vom Mauerbau wie ein Lauffeuer verbreitete. Die Buschtrommel funktionierte damals auch ohne Handy ganz gut. Ich war wie vom Blitz getroffen und musste unwillkürlich an die von Walter Ulbricht angeordnete Sprengung der Leipziger Stadtkirche denken, die mich als Kind an der Hand meiner Eltern sehr erschüttert hat.

Haben Sie nicht an Flucht gedacht?

Dix: Ich war ja noch in der Ausbildung und wollte mir die angestrebte Theaterkarriere nicht verbauen. Außerdem fühlte ich mich ans Elternhaus gebunden. Viele Freunde hatten sich allerdings anders entschieden. Vor allem Intellektuelle gingen massenhaft in den Westen. Dem hat die DDR schließlich einen Riegel vorgeschoben. Mein späterer Mann ist ausgerechnet am Tag des Mauerbaus von einem Verwandtenbesuch aus dem Westen zurückgekehrt und hat sich später immer vorgehalten „Da habe ich etwas falsch gemacht.“

War der Mauerbau denn nicht aufzuhalten?

Dix: Die Zeit war nicht reif dafür. Es gab keine Repressionen mehr gegen Arbeiter wie noch 1953. Jeder hatte Arbeit und der Verfall der Städte war noch nicht so weit fortgeschritten, dass die Unzufriedenheit zu groß wurde. Die Mehrheit arrangierte sich irgendwie. Der Mensch ist eben ein Gewohnheitstier.

Was hat die Mauer für Ihr Leben bedeutet?

Dix: Nicht nur bei mir hat sie Lebensentwürfe zerstört. Familien wurden auseinandergerissen. Meine Cousine zum Beispiel habe ich 40 Jahre lang nicht mehr gesehen. Wir wurden von einem repressiven Apparat zur Heuchelei erzogen. Die Freiheit wurde in Fesseln gelegt – auch die Freiheit des Denkens. Es war ja kein Sozialismus oder Kommunismus, sondern ein zutiefst undemokratisches System. Wir erlebten Diktatur in allen ihren Facetten. Aber nicht die des Proletariats, sondern die der Partei und der Stasi. Das war eine Tragödie historischen Ausmaßes.

Dennoch gibt es Stimmen, die sich eine Mauer zurückwünschen...

Dix: So etwas ist menschenunwürdig. Es war ja kein demokratischer Schutzwall gegen das Eindringen des Klassenfeindes oder gar gegen einen atomaren Angriff, wie man uns glauben machen wollte. Wir wurden vielmehr eingesperrt. Und unser Weg war mit Lügen gepflastert.

Wann entschlossen Sie sich, das Land zu verlassen?

Dix: 1979, nachdem die Helsinkiverträge die Familienzusammenführung ermöglichten. Es hat aber bis 1984 gedauert, bis ich mit meinem Mann ausreisen konnte. Dazwischen waren wir als Staatsfeinde mit Berufsverbot belegt und schlimmsten Repressionen ausgesetzt.

Und was bleibt übrig von der Mauer-Episode?

Dix: Ein Vertrauensverlust in Politiker, der nicht nur auf die ehemalige DDR beschränkt ist. Man sollte wachsam bleiben, dass sich Derartiges nicht wiederholt und Lügengespinsten misstrauen, mit denen der Mauerbau verteidigt worden war.

Die Geschichtswerkstatt Fürth lädt heute Abend zum Gespräch über den Mauerbau (siehe S.2).

 

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