Mehr als Toleranz

12.3.2010, 00:00 Uhr
Mehr als Toleranz

© Mark Johnston

Was er betreibe, erklärte Karl-Josef Kuschel seinen Zuhörern, sei auch ein »Stück Kulturarchäologie». Zum Ausgangspunkt seiner Suche knöpfte er sich die Ringparabel aus Gotthold Ephraim Lessings »Nathan der Weise» vor. Die Geschichte vom Ring, den ein Vater der Tradition gemäß dem Sohn vererbt, den er am meisten liebt, werde nicht selten als Resultat der Aufklärung, geprägt vom Christentum in Europa, dargestellt. Das sei in allen Punkten schlichtweg falsch. Kuschel wies in seinem Vortrag nach, dass es vergleichbare »Toleranzgeschichten» gibt, die entschieden älter sind und aus der Welt des Islam beziehungsweise des Judentums stammen.

Bis ins Bagdad des 10. Jahrhundert blickte der 61-Jährige zurück und nahm die Spur auf, die in Lessings Parabel mündete, einem Werk, das wie kein anderes in der gesamten deutschen Literatur das Konfliktpotential zwischen den Religionen im Blick hat und gleichzeitig das Model einer Versöhnbarkeit zwischen Juden, Muslimen und Christen anbietet. Kuschel ist akademischer Direktor für Theologie der Kultur und des interreligiösen Dialogs an der Katholisch-Theologischen Fakultät sowie stellvertretender Direktor des Instituts für Ökumenische Forschung der Universität Tübingen. Zu seinen Veröffentlichungen zählt unter anderem »Streit um Abraham: Was Juden, Christen und Muslime trennt – und was sie eint».

Zu Beginn des Festakts hatte Klaus Neunhoeffer, stellvertretender Schulleiter, die Gäste aus Politik, Gesellschaft und Kultur sowie Schüler der Oberstufe begrüßt. Das Motto der Woche der Brüderlichkeit, das in diesem Jahr »Verlorene Maßstäbe» heißt, weise auf Leerstellen hin, die es wieder sinnvoll zu füllen gelte. Brüderlichkeit könne ein solcher Maßstab sein, den es neu zu entdecken gelte.

Lob der Beharrlichkeit

Oberbürgermeister Thomas Jung, Schirmherr der Woche, machte klar, dass er immer wieder aufs Neue erkenne, wie viel die Stadt Fürth ihren jüdischen Mitbürgern zu verdanken habe. Das sei auch beim anstehenden 175. Eisenbahnjubiläum nicht anders. Dieses Projekt sei von Bürgern initiiert worden, von denen viele mosaischen Glaubens gewesen seien. Zu seinem größten Missfallen wachse derzeit wieder die Zahl derer, die versuchten, NS-Gedankengut zu propagieren. Der OB versicherte: »Man sollte aber niemanden aufgeben und beharrlich die Vorzüge der Demokratie und der Brüderlichkeit aufzeigen.»

Einen wichtigen Beitrag zum gegenseitigen Verständnis nannte Rabbiner Shlomo A. Wurmser von der israelitischen Kultusgemeinde Fürth diese Woche der Informationen und Begegnungen. Sie trage dazu bei, Frieden zwischen den Religionen zu stiften. Eine »zunehmende Verrohung der Gesellschaft» bedauerte Dekan Georg Dittrich, der im Namen der christlichen Dekanate Fürths sprach. Es sei höchste Zeit, die Gemeinsamkeiten der drei großen Glaubensrichtungen zu betonen und die »Werte, für die wir alle stehen». Dittrich regte an, dass sich Imame, Rabbi, Dekane und »andere kompetente Menschen» in Fürth regelmäßig zu weiterführenden Gesprächen an einen Tisch setzen.

Die Feier wurde begleitet vom Streichorchester des Helene-Lange-Gymnasiums und seiner Solistin Anna Strattner. Berührend sang Bella Rosenkranz, begleitet von Pianist Thomas Fink, von »Mayn Städtele Belz». Anna Waidhas (K 12), Trägerin des Josef-Peter-Kleinert-Preises 2009, begleitete sich selbst an der Gitarre zu »Dona, dona». Ihre Interpretation des Liedes von Shalom Secunda sei allein schon Grund genug gewesen, nach Fürth zu kommen, lobte Karl-Josef Kuschel. Er beschloss seine Ausführungen mit der Aufforderung, Lessings Ringparabel nicht als »Geschichte von anno dazumal» abzutun. Sie sei »kein Toleranzstück», sondern weit mehr als das: »Es geht um die Anerkennung des jeweils Anderen und um das Bewusstsein, dass man aus jeder Religion mit ,mit Sanftmut, mit herzlicher Verträglichkeit, mit Wohltun, mit innigster Ergebenheit in Gott‘ zur vorurteilsfreien Liebe gelangen kann.»