Musikdirektor Wackelohrs unfeines Spiel

26.3.2014, 13:00 Uhr
Musikdirektor Wackelohrs unfeines Spiel

© Joachim Sobczyk

Es ist doch immer wieder herzerfrischend, die Hochkultur durch die Kinderperspektive zu begutachten. Erst recht, wenn für die Kleinen der allererste Besuch im Stadttheater ansteht. Mit großen Kulleraugen und offenem Mund bewundern Vierjährige die neobarocken Putten an der Decke, der blattgoldene Zierrat im Theater gemahnt an ein Märchenschloss, und vor allem: Die Meinung kommt herzig frei und unverblümt, wenngleich noch unartikuliert. Die jüngsten Gäste geben von Mamas Schoß aus ihr Wohl- oder Missfallen kund, und wer ein Kulturbanause werden will, fängt früh an: „Wann geht’s denn wieder nach Hause?“

Auch die Hasenprinzessin äußert ihre Bedenken frei heraus: „Papa, wenn so ein dicker Hase gewinnt, muss ich den dann heiraten?“ Grundproblem eines jeden Wettbewerbs, denn der Sieger muss auch danach noch zu gefallen wissen.

Also: „Der Sängerkrieg der Heidehasen“ von James Krüss, ursprünglich ein Hörspiel, versammelt in schönster „Tannhäuser“-Tradition diverse musikalische Rivalen, die um die Gunst der Tochter von König Lamprecht VII. buhlen. Sämtliche Akteure, auch der Kinderchor der Poppenreuther Gemeinde St. Peter und Paul und das Vor- und Nachwuchsorchester der Jungen Fürther Streichhölzer, treten deshalb mit Hasenmasken und -ohren auf. Dirigent Bernd Müller glänzt sogar mit einem Puschelschwänzchen an der Kehrseite.

Vergessene Virtuosen

Indes, „Sängerkrieg“ führt in die Irre, die Rivalen fechten nicht mit ihrer Stimme, sondern mit Cello, Kontrabass, Waldhorn und Violine, was den Solisten Gelegenheit gibt, mit dem Orchester zu glänzen. Und hier erweist sich der größte Pluspunkt der Streichhölzer: Statt Wagner zu parodieren (wie ursprünglich in Krüss' Hörspiel) oder landläufig bekannte Melodien illustrer Komponisten aufzufahren, brachten sie Stücke längst vergessener Virtuosen aus dem 18. und 19. Jahrhundert artig zu Gehör. Hand aufs Herz: Wer kennt schon Jean Baptiste Breval, Antonio Capuzzi, Franz Stich oder Henryk Wieniawski?

Auch der herzallerliebste Hasenchor besticht mit seinen auswendig gesungenen Kommentaren. Für Spannung sorgt eine Intrige: Musikdirektor Wackelohr (Leo Breuer) sabotiert seine Mitspieler, unterstützt vom Hasenminister (Lina Feuerstein), doch am Ende siegt das Gute, und die Prinzessin bekommt ihren schmucken Hornisten Lodengrün (Julius Wassenaar). Bleibt nur noch eine Frage der Prinzessin offen: „Sag, Lodengrün, kriegst du später auch so einen dicken Bauch?“

„Wir freuen uns, dass Sie uns dem Tatort vorziehen“, erklärt der jugendliche Moderator dem Publikum, das sich im Stadttheater lieber dem traditionellen Frühjahrskonzert der Jungen Fürther Streichhölzer widmete als der Kölner Tätersuche im „Ersten“. Bereuen musste die Entscheidung sicher niemand, bot das Programm unter Bernd Müllers Leitung doch nicht nur große Musik, sondern nach der Pause mit Edward Elgars „Enigma-Variationen“ ebenfalls einen Hauch von Mysterium und Rätsel.

Zunächst war das Vor- und Nachwuchsorchester an der Reihe mit einem Concerto Grosso von Georg Friedrich Händel. Ganz besonders taten sich die drei Solisten hervor, Annika Elsässer, Kristin Utz (Violine 1 und 2) und Johannes Bühler (Violoncello), deren Stimmen sich in dem fließenden Grundthema klangschön miteinander verwoben vor dem dunkleren Tutti-Hintergrund. Frühlingshaft und frisch, ohne ins Banale abzugleiten, und immer schön im Ausdruck, wenn auch in einzelnen schnellen Passagen ein wenig zerzaust, schloss das Allegro das Werk ab, die jüngsten Streichhölzer gingen unter wohlverdientem Beifall ab — und überließen die Bühne dem Symphonieorchester und dem in Würzburg studierenden Cellisten Jaromir Kostka, dessen musikalische Wurzeln ebenfalls bei den Streichhölzern zu finden sind.

In Camille Saint-Saëns’ Cellokonzert Nr. 1 zeigte das Orchester eine seiner Stärken: eine sehr differenzierte, die einzelnen Instrumente fein nuancierend herausstellende Spielweise, etwa an Stellen, wo Saint-Saëns ein dschungelartiges Stimmengewirr von Tönen und Rufen erschafft, aus dem die Stimme des Cellos nachgerade herausgeschleudert wird, ehe sie sich sammelt zu einem milden Thema.

Der 19-jährige Solist erntete am Ende enthusiastisch-donnernden Applaus für sein virtuoses, emphatisches Spiel, das alle Facetten seines Instruments ausreizt: tanzend und elastisch, schwelgend und selbstvergessen, lieblich und dunkel, energisch und intim.

Sich selbst und seine Freunde hat Edward Elgar in den „Enigma-Variationen“, die ihn weltberühmt gemacht haben, verewigt, seinen Wegbegleitern Denkmale gesetzt, die durchaus Witz und milden Spott enthalten; etwa, wenn er die Inkompetenz des Architekten Arthur Griffith am Klavier verarbeitet oder in „Dorabella“ deren „jugendliches Gestammel“ mit aufnimmt.

Frühlingstriebe

Vielfältig wie große Freundschaften mit unterschiedlichen Menschen sind die Variationen. Hier ein dunkles, erdiges Weben, aus dem sich wie grüne Frühlingstriebe ein freches, vorlautes Thema hervorhebt, dort aufpeitschende Hörner. Eine Romanze mit üppigen Streichern und zärtlichen Passagen, die unvermittelt an Heiterkeit und Leichtigkeit gewinnen. Im Finale, das Elgar selbst darstellen soll, schließlich ein unbescheidenes Auftrumpfen, ein feierlicher Marsch, der im Ton an die späteren „Pomp and Circumstances“ denken lässt. An den Tatort verschwendete nach diesem frenetisch beklatschten Werk wohl niemand einen Gedanken.SIGRUN ARENZ

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