N wie Naumann

22.8.2012, 11:00 Uhr
N wie Naumann

© Horst Linke

Mit einer fünften Klasse fängt sie an. Und mit Namensschildchen, die die Kinder sich anstecken werden. „Das ist eine sichere Möglichkeit“, sagt Ines Naumann. Zwischen 25 und 30 Kinder lernt sie bei Schuljahresbeginn auf einen Schlag kennen. Die Schüler wissen wahrscheinlich viel eher, wie Frau Naumann heißt als umgekehrt. „Ich denke, ich habe ein gutes Namensgedächtnis. Ich merke mir Namen über die Optik“, sagt die 56-Jährige. Über viele Jahre aber hat sie als Selbstständige Klavierunterricht gegeben und ist erst vor zwei Jahren wieder in den Schuldienst gegangen.

Angefangen hat sie mit sechs Stunden Instrumentalunterricht, dabei arbeitet sie mit jeweils zwei Schülern am Klavier. Die Namen sitzen schnell. „Das ist so ein persönlicher Kontakt“, sagt Ines Naumann. Zudem macht sie sich nach jeder Stunde Notizen. Was haben die Kinder gelernt, welche Hausaufgabe hat sie gestellt? Nicht, dass einer durchschlupft... Aber eine ganze Klasse?

Rückblick: Ines Naumann ist in Rothenburg ob der Tauber geboren, wo ihre Eltern eine Tanzschule führten. Sie selbst liebt den Tanz, die Bewegung und hat auch eine Tanzausbildung gemacht – nebenher lernte sie Klavier und Cello. Die „sichere Schiene“ der Pädagogik führte dazu, dass sie in Würzburg Schulmusik studierte. Nach dem zweiten Staatsexamen ging sie in den Schuldienst. Aber dann heiratete sie einen Musiker, die Kinder kamen und sie leitete – das ließ sich gut mit der Familie vereinbaren – über zwölf Jahre lang Aerobic-Kurse in Stein.

Überholte Pädagogik

Wenn sie an die ersten Schulstunden als junge Lehrerin denkt, schüttelt sie sich. Sie hatte zwei Klassen, in denen ausschließlich türkischstämmige Kinder saßen. Damalige pädagogische Konzepte bauten auf der Idee des schnelleren Lernfortschritts in homogener Zusammensetzung. Für jeden Lehrer war diese, was die Namen betrifft, eine Tortur. Einheimischen fehlten einfach die Unterscheidungsmerkmale: mehrere Mohammeds in einer Klasse, die vielen Namen mit Ü und alle Kinder mit dunklen Haaren.

Ines Naumann hat sich damals mit einem Klassenspiegel geholfen. Der Plan spiegelt die Sitzordnung, für jeden Tisch sind die Namen der Schüler niedergeschrieben. Aber jetzt? Im Musiksaal des Heinrich-Schliemann-Gymnasiums sitzen die Schüler auf Stühlen mit einer klappbaren Schreibfläche, die in jeder Stunde anders stehen. Ein Spiegel hilft da nicht mehr. Aber Ines Naumann ist findig. Jeder ihrer neuen Schüler soll ein Namensschildchen anstecken und darf sich ein Instrument aussuchen – ein zusätzlicher Anker auch fürs Lehrerinnengedächtnis.

Natürlich: Manche Kinder prägen sich wegen ihres Aussehens oder ihres Verhaltens schnell ein. Aber die Masse... Pädagogen, die Musik, Sport oder andere Nebenfächer unterrichten, haben nur ein oder zwei Wochenstunden mit einer Klasse, während es in den Kernfächern vier, fünf Stunden sind. Für Nebenfach-Lehrer bedeutet das bis zu 17 Klassen, wenn sie in Vollzeit 28 Stunden unterrichten. Pi mal Daumen sind das 400 bis 500 Kinder.

Kunstlehrer hätten es dabei noch leichter, sagt Ines Naumann. Weil sie sehen, was die Schüler malen – und die Kinder ihre Werke ja auch signieren. Anders in Musik. Wobei der musische Schwerpunkt des Schliemann-Gymnasiums höhere Stundenzahlen bedingt.

Die überwiegende Zahl ihrer zwölf Wochenstunden wird Ines Naumann, die in der Südstadt wohnt, Instrumentalunterricht geben. Aber sie denkt schon an weitere Klassen, die in den nächsten Jahren dazukommen könnten – und trainiert die Verbindung von Namen und Gesichtern. Sie ist nicht allein: Im Lehrerzimmer des Heinrich-Schliemann-Gymnasiums hängt eine Tafel mit den Fotos der Pädagogen, darunter Namen und Fächerverbindung. 67 Lehrer stehen auf der aktuellen Kollegiumsliste. „Ich war dankbar, das hat das Kennenlernen ungemein erleichtert“, sagt Ines Naumann. Nun überlegt sie, ob sie dieses Prinzip auf ihre Schüler übertragen könnte und will den Vorschlag beim ersten Elternvorstellungsabend ansprechen.

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