Nach Rezo und Co: Vergesst uns Alte nicht!

23.6.2019, 06:00 Uhr
Franz Wölfl lobt Programme wie "Fürth bewegt": Sie tun nicht nur dem Organismus gut, sie bieten Senioren auch die Chance, Kontakte zu knüpfen.

© Archivfoto: Winckler Franz Wölfl lobt Programme wie "Fürth bewegt": Sie tun nicht nur dem Organismus gut, sie bieten Senioren auch die Chance, Kontakte zu knüpfen.

Herr Wölfl, junge Leute bestimmen zurzeit mehr als früher die politische Debatte. Den Anstoß dazu gab die Fridays-for-Future-Bewegung. Wie finden Sie das?

Wölfl: Ich bin zwar der Ansicht, man könnte für den Klimaschutz auch an Nachmittagen demonstrieren, halte ihn aber für ein wichtiges Thema. Und es ist toll, dass sich junge Leute so für ihr Anliegen einsetzen.

Ihre jüngste Pressemitteilung beginnt mit dem Aufschrei "Vergesst uns Alte nicht". Haben Sie Sorge, dass das geschehen könnte?

Wölfl: Ich habe den Eindruck, die Politik stürzt sich aus Gründen der Machterhaltung auf Themen, die gerade aktuell sind. Söder hat gesagt, die Politik müsse jünger, dynamischer, cooler werden. Ein YouTuber und die Ergebnisse der Europawahl haben vor allem CDU, CSU und SPD dazu verführt, nur noch Ohren für die Anliegen der Jüngeren zu haben. Deshalb befürchte ich schon, dass die Klimaschutz-Debatte beispielsweise alles andere überdeckt.

 

Aber meinen Sie nicht, dass der Klimaschutz, der uns alle angeht, höchste Priorität haben sollte?

Nach Rezo und Co: Vergesst uns Alte nicht!

© Birgit Heidingsfelder

Wölfl: Er ist sehr wichtig, aber man darf andere Themen darüber nicht aus den Augen verlieren. Und von den ebenso berechtigten Belangen der Älteren redet kaum noch jemand.

Welche Themen brennen Ihnen unter den Nägeln?

Wölfl: Wir brauchen neben bezahlbarem Wohnraum und bezahlbarer Pflege vor allem eine Altersversorgung, mit der die Menschen wirklich auskommen, also eine vernünftige Grundrente. Die Regierung sollte dazu den Niedriglohnsektor bekämpfen, dann braucht sie später bei der Rente nicht nachbessern. Außerdem müssen wir unsere Alten vor Vereinsamung schützen.

Das heißt?

Wölfl: Nun, ich bekomme immer wieder mit, dass viele Menschen allein zuhause sitzen und nichts mit sich anzufangen wissen, wenn der Partner und die Freunde verstorben sind. Ein Beispiel: Als meine Mutter ins Pflegeheim kam, ging mein Vater nach 60 Ehejahren ein wie eine vertrocknende Pflanze. Vor dem Einschlafen hatte er ihr immer Gute Nacht gewünscht und die Hand getätschelt. Die kleine Geste fehlte ihm ungemein, er konnte nicht mehr schlafen. Einsamkeit ist für mich eine Krankheit, man muss die alten Leute da rausholen.

In Fürth gibt es das kostenlose Gesundheitsangebot "Fürth bewegt". Menschen aller Generationen treiben dabei in Grünanlagen Sport und kochen zusammen. Halten Sie das für den richtigen Weg?

Wölfl: Auf jeden Fall. Solche Angebote helfen. Aber man könnte mehr tun, zum Beispiel das Prinzip "Essen auf Rädern" umkehren und die Alten nach dem Motto "Auf Rädern zum Essen" daheim abholen und in eine Sozialstation bringen. So würden sie ihre eigenen vier Wände zumindest für eine Mahlzeit verlassen und bekämen nebenbei die Chance, Kontakte zu knüpfen oder aufzufrischen.

Stichwort Mobilität, ÖPNV, E-Scooter. Gibt es da eine klare Position der LSVB? Vielleicht sogar eine Schnittmenge mit jungen Klimaschutz-Aktivisten?

Wölfl: Das Thema E-Scooter geht völlig an meiner Generation vorbei. Abgesehen von ein paar fitten ewig Jungen steigen 70-Jährige nicht mehr auf Elektroroller, wenn sie sowas ihr Leben lang nicht gefahren sind. Wir haben uns dafür eingesetzt, dass E-Scooter nicht auf Gehwegen fahren dürfen, und ich bin froh, dass das nun so geregelt wurde. Davon abgesehen ist es meines Erachtens eine gute Idee, älteren Autofahrern die Abgabe ihres Führerscheins und das Umsteigen auf Bus und Bahn mit vergünstigten oder kostenlosen ÖPNV-Tickets zu versüßen.

"Fahrschein für Führerschein" nennt sich ein entsprechendes Angebot in Fürth . . .

Wölf: Ja, es gibt immer mehr Städte, die das anbieten, und das ist gut.

Sie streiten für ein Seniorenmitwirkungsgesetz, wollen Kommunen sogar verpflichten, Seniorenräte bzw. Seniorenbeiräte einzurichten. Viel politischen Rückhalt für Ihr Vorhaben bekommen Sie aber nicht . . .

Wölfl: Wir haben die Diskussion angestoßen und schon damit etwas erreicht, dass im Koalitionsvertrag steht, dass ein solches Gesetz kommen soll, auch wenn es noch keinen Gesetzentwurf gibt. Aber Sie haben Recht: Unser Wunsch, verpflichtend Seniorenräte einzurichten, stößt bei fast allen Parteien, bei CSU, Freien Wählern und auch bei den kommunalen Spitzenverbänden, auf Widerspruch. Sie sehen das als Eingriff ins kommunale Selbstbestimmungsrecht.

Wie wollen Sie Ihr Anliegen also durchsetzen?

Wölfl: Für uns wäre es schon ein gewaltiger Fortschritt, wenn im Seniorenmitwirkungsgesetz verankert würde, dass Kommunen Seniorenräte einrichten sollen. Auf jeden Fall aber brauchen wir Mindeststandards für alle Seniorenräte in Bayern. Es wäre unter anderem wichtig und ist bisher keineswegs überall der Fall, dass sie Anträge im Stadtrat stellen und dann in den Gremien über ihr Anliegen mitreden können. Meine Heimatstadt Landshut macht das vorbildlich. Außerdem brauchen wir einen Landesseniorenrat, und damit meine ich ein unabhängiges Gremium ohne Politiker.

Zurück zur kommunalen Ebene. Der LSVB als überparteilicher Dachorganisation gehören 200 Seniorenvertretungen an. Wie viele Gemeinden fehlen Ihnen denn?

Wölfl: Viele. Von den über 2000 bayerischen Städten und Gemeinden haben annähernd 300 Seniorenräte. Nicht alle sind bei uns organisiert. Es gibt zwar auch in vielen Kommunen Seniorenbeauftragte, aber das sind städtische Angestellte, die sich oft eher schwer tun, Forderungen zu stellen, die der Rathausspitze missfallen. Wir wünschen deshalb eine flächendeckende Einführung von Seniorenräten und wir möchten, dass die Politik mit uns, anders als ich das oft erlebe, auf Augenhöhe spricht. Schließlich sind auch wir Wähler.

 

Franz Wölfl (70), Vorsitzender der Landesseniorenvertretung Bayern, war bis zu seiner Pensionierung 2014 Ministerialdirigent im bayerischen Sozialministerium und dort zuletzt zuständig für Altenpolitik. Der Betriebswirt und Jurist steht der LSVB seit 2016 vor. Unter größeren altersbedingten Handicaps leidet Wölfl, der in Landshut lebt und gern mit dem E-Bike durch seine Heimat radelt, „Gott sei Dank noch nicht“.

 

8 Kommentare