Reise nach Tschernobyl

12.4.2011, 13:00 Uhr
Reise nach Tschernobyl

© dpa

„Dass Fukushima Tschernobyl 100-fach toppen würde, damit konnte keiner rechnen.“ Mit diesen Worten eröffnete Heike Demmler, Sprecherin der Grünen im Landkreis, die Veranstaltung. Nach einem Moment des stillen Gedenkens für die Menschen in Japan referierten Markus Büchler und Antje Wagner, Mitarbeiter der Grünen. Tschernobyl darf nicht in Vergessenheit geraten, meinen sie. Daher machten sie sich vergangenes Jahr auf den Weg nach Pripjat, der Stadt, die die nukleare Havarie 1986 nicht überdauerte.

Büchler beschäftigt dieses Thema schon lange. „Als Achtjähriger konnte ich nicht verstehen, warum ich plötzlich nicht mehr draußen spielen durfte.“ So habe er bereits in frühen Jahren beschlossen, „aktiv mit Hilfe der Politik gegen Atomkraft“ vorzugehen. Auch Antje Wagner bewogen ähnliche Motive zum politischen Engagement: „1986 herrschte eine große Unsicherheit in der Bevölkerung. Aber wenn es schon bei uns so schlimm war, wie muss es dann erst für die Betroffenen vor Ort gewesen sein?“, fragte sie sich.

In der Sperrzone

Im Sommer 2010 besuchten Büchler und Wagner die 30 Kilometer lange Sperrzone rund um den Reaktor IV in Tschernobyl. Dort gingen sie vor allem der Frage nach, wie das Leben vor der Reaktorkatastrophe ausgesehen hatte und wie man heute, 25 Jahre später, mit der evakuierten Zone umgeht.

Mit beeindruckenden, teilweise erschreckenden Bildern und unglaublichen Geschichten im Gepäck sind sie nach Deutschland zurückgekehrt. Der Unglücksort Pripjat war zum Zeitpunkt der Katastrophe erst 16 Jahre besiedelt. Die Retortenstadt war 1970 eigens zur Anwerbung von Kraftwerksingenieuren und Arbeitern erbaut worden. 1986 wohnten 48000 Menschen dort — „der Glaube an eine bessere Zukunft lockte“, berichtet Büchler. Menschliches Fehlverhalten löste die Explosion am 26. April 1986 aus.

Pripjat heute: „Die Strahlenbelastung liegt immer noch um das Tausendfache über dem zulässigen Grenzwert“, sagt Wagner. Ein Rundgang in Schutzkleidung über das verstrahlte Gelände zeigt Spuren vergangenen Lebens. In Schulhaus und Kindergarten finden sich Relikte aus vergessenen Tagen: Ein russisches Buch, Kinderschuhe, Puppenköpfe, Kinderbetten. „Da bekommt man Gänsehaut, wenn man an die Familien und Kinder denkt, die ihre Heimat Hals über Kopf verlassen mussten.“ Pripjat ist eine Geisterstadt, „die sich die Natur Stück für Stück zurückerobert“.

Aber trotz der Brisanz und Aktualität dieser Thematik fanden nur einige wenige den Weg in die Aula der Mittelschule. Das fiel auch Jakob Brändl (69), der sich ehrenamtlich im Umweltschutz engagiert, auf: „Ich verstehe das nicht. Draußen auf der Straße schreien alle, dass sie gegen Atomkraft sind. Da machen sie das ganze Jahr auf grün und wo sind sie heute?“ Er fordert ganz klar mehr Initiative seitens der Bürger. Die Veranstaltung findet er zwar sinnvoll und notwendig, jedoch bringe es wenig, wenn das Publikum fehle, ärgert sich Brändl.

Auch Sabine Klier, Gründerin der Erlanger Mütter gegen Atomkraft, bemängelt die geringe Besucherzahl. „Tschernobyl ist vollkommen in Vergessenheit geraten. Wenn Fukushima nicht passiert wäre, wäre ein Drittel weniger Leute hier“, gibt sich die Rentnerin überzeugt. „Das Schlimme an den Menschen ist, dass sie nur aus der eigenen Betroffenheit lernen“, meint sie.

Die anwesenden Vertreter aus der jüngeren Generation sind an einer Hand abzuzählen. Michele Kemner (24) findet die Veranstaltung gut. Er ist hergekommen, um sich zu informieren. „So etwas sollte es öfter geben. Das klärt auf und stimmt nachdenklich. Auch jetzt mit Fukushima. Seltsam ist, dass zuerst die Zeitungen übervoll damit sind und jetzt muss man schon nach den Artikeln suchen.“