Sauberer Schnitt für das Traditionsgeschäft

15.10.2012, 11:00 Uhr
Sauberer Schnitt für das Traditionsgeschäft

© Hans-Joachim Winckler

Im Esszimmer hinter dem Verkaufsraum plaudert Helga Willomitzer aus der Betriebsgeschichte: Sie redet von Elsa und Anton Willomitzer, die schon in Böhmen um 1900 eine Metzgerei mit Gastwirtschaft führten, von Lucia und Willi Willomitzer, die von 1952 an in Fürth weitermachten, mit eben jenem Geschäft, das sie und ihr Mann 30 Jahre später, 1982 übernahmen, und dem sie jetzt, nach weiteren 30 Jahren, „ade“ sagen. Sanft streicht Helga Willomitzer über die Kante des mächtigen Esstischs, an dem die Familie samt Lehrlingen oft beim Mittagessen saß. Es ist eine nachdenkliche Geste voller Wehmut. „Ich würd’s gern noch 20 Jahre machen“, seufzt die 57-Jährige. „Aber lieber machen wir jetzt Schluss. Wer weiß, wie’s uns in ein paar Jahren geht.“

Sauberer Schnitt für das Traditionsgeschäft

Die Willomitzers geben ihr Geschäft nicht auf, weil es schlecht läuft. Im Gegenteil: „Der Laden brummt.“ Das ganze Jahr über gibt es hier Wild „aus fränkischen Wäldern und Wiesen“, teils aus dem Jagdrevier der Familie nahe Emskirchen. Die Wurstwaren sind hausgemacht, ohne Geschmacksverstärker, ohne Konservierungsstoffe, ohne Fertigwürzmischungen, die Wienerle werden noch im Keller über offener Buchenholzglut heißgeräuchert, ohne chemische Zusätze. Und Allergiker finden Wurst, die nur mit Salz und Pfeffer im eigenen Saft hergestellt wird.

„Ich sag immer, ich bin der Dinosaurier unter den Metzgern“, kommentiert Werner Willomitzer. Doch klar ist auch: Mit ihrer traditionellen Produktion und dem Pochen auf natürliche Zutaten haben sich die Eheleute in Zeiten zunehmender Lebensmittelskandale ein Geschäftsfeld erschlossen. Ihr Sortiment ist gefragt, nicht nur bei den Menschen im Viertel und in der Region. Es lassen sich auch Kunden in Hamburg oder Thüringen Fleisch und Wurst von Willomitzers schicken.

Der Metzgermeister und seine Frau hören auf, weil sie gesundheitlich angeschlagen sind. Sie wollen ihr Arbeitsleben beenden und einen neuen Lebensabschnitt genießen. Sie packen das an, bewusst, machen einen Schnitt. Ziehen aus aus dem Haus, in dem sie arbeiten und wohnen, in dem ihre Kinder — Tochter Silvia (35) studiert Medizin, Sohn Florian (26) ist Physiker — aufgewachsen sind, und in dem Werner Willomitzer seit seiner Geburt vor 57 Jahren lebt. Sie wollen sich ein „biologisch-ökologisches Niedrigenergiehäuschen aus Holz“ bauen, drüben in Stadeln, wo die Tochter mit Familie wohnt.

Kochen, bügeln, vorlesen

„Wir müssen hier raus, denn wenn ich im Viertel ständig meine Kunden seh’, dann grein’ ich bloß den ganzen Tag“, erklärt Helga Willomitzer mit kummervollem Blick. Doch gleich wendet sie sich der schönen Zukunft zu: „Ich werd’ mich um meine Enkelkinder kümmern, werd’ kochen, ach, ich koch’ ja so gern, und bügeln, dabei lass’ ich die Gedanken schweifen, und außerdem hab’ ich dann viel Zeit, um den kleinen Patienten in der Kinderklinik Geschichten vorzulesen...“

Werner Willomitzer, der seiner Frau belustigt zugehört hat, bemerkt: „Ich bin der Nüchterne von uns.“ Sie fängt die Neckerei auf, muss lachen. Ein halbes Stündchen später, als er weg ist, wieder mal zur Jagd, wird sie von den Geweihen erzählen, die oben die Wohnzimmerwand zieren. „Seine Trophäen.“ Liebevoll wird sie dann sagen, dass er sich ihren Geburtstag nicht merken kann und den Hochzeitstag nicht. Aber dass er genau weiß, wann er welchen Bock geschossen hat, ob es bei Vollmond war, ob die Nachtigall gesungen hat...

Helga Willomitzers Plaudereien werden ihren Kunden sicher fehlen. Wer das Geschäft kennt, weiß, dass man zum Einkaufen immer etwas Zeit mitbringen sollte. Denn hinter dem Schaufenster, auf dem dicke weiße Schrift schussfrische Rebhühner und Wildenten anpreist, Lamm aus dem Altmühltal, Stallhasen, Bauernenten, alles „schlachtfrisch aus dem Frankenland“, hinter diesem Fenster wandern nicht nur Schnitzel, Steaks und Geldscheine über den Ladentisch.

Hier werden auch Lebensgeschichten ausgetauscht, Freuden, Sorgen und Rezepte. Hier erfuhr Helga Willomitzer einst, dass gegen Blähungen am besten ein „Göllner-Semmala mit Butter und Knoblauchscheiben“ hilft. Hier fachsimpelt sie mit ihren Kund(inn)en über Hasenschlegel mit Backpflaumen und Blaukrautrouladen, hier verschenkt sie ihre Mappen mit Kochrezepten, die mittlerweile auch online zu finden sind.

Am 31. Dezember endet die Ära Willomitzer in der Theresienstraße. Die Fürther Restaurantfachfrau Susanne Schuster (30), Tochter des Küchenchefs im „Alten Forsthaus“, und Hotelfachfrau Petra Reck (30) aus der Fischküche Reck bei Erlangen eröffnen dann hier die „Feinkosteria Schuster und Reck“. Fest steht: Die Wurst kommt dann aus der Dorfmetzgerei Reck in Möhrendorf, die Petra Recks Cousin nach denselben Prinzipien wie die Willomitzers herstellt. Fest steht aber auch: Die heiße Theke bleibt, die Fleischlieferanten bleiben, und es gibt weiter Wild, das Werner Willomitzer schießt und thekenfertig macht.

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