Seelentanz in der finnischen Einöde

11.5.2019, 13:24 Uhr
Seelentanz in der finnischen Einöde

© Andrea Munkert

Trifft man Martti Mäkkelä, fühlt man sich in die Zeit katapultiert, als lonesome Cowboys im Saloon saßen und bei einem Schnaps über die Welt und ihre Tücken sinnierten. Tatsächlich sitzt der Halbfinne am vorderen Zipfel der Nürnberger Südstadt im Café Express, der Wilde Westen liegt weit entfernt. Sein beige-grauer Hut mit der zarten Bordüre und die Art, die diesen Mann umgibt, sind so ungewöhnlich wie einzigartig in dieser kultigen Kneipe. Den Musiker Mäkkelä umweht der Hauch eines rauen Windes der amerikanischen Prärie, der um einen kreist und einhüllt – dafür sorgt nicht nur die tiefe und klare Stimme des 53-Jährigen.

Mäkkelä ist der Typ für Kanten, Ecken, das Unverhoffte. Eine gewisse Düsterkeit umgibt den hochgewachsenen Mann, etwas Ungezähmtes und heutzutage seltenes Nostalgisches. "Ich bin ein wahnsinnig neugieriger Mensch", sagt er im ruhigen Ton über sich selbst, "ich suche Neues, etwas anderes, etwas oder jemand Aufregendes".

Mit 21 Jahren ist der Halbfinne zum Wehrdienst in Fürth angekommen — und geblieben: "Aus rein praktischen Gründen", wie er sagt. An Fürth mag er, dass nicht die "Hölle los ist". Auch, wenn er augenzwinkernd anbringt, dass sich die Stadt "nicht unbedingt an Nightlife und Attraktivität überschlägt".

Jetzt, 32 Jahre nach seiner Ankunft, ist er hier tief verwurzelt: Hat in der Hirschenstraße 33 mit Kioski den wohl einzigen finnischen Platten- und Allerlei-Laden südlich der Ostsee, ist Musikverleger, Inhaber dreier Plattenlabels sowie mit Leib und Seele Folk-Noir-, Vaudeville- und Punk-Folk-Musiker. Eine Mischung aus dem düsteren Tom Waits und einem verschrobenen Tom Petty oder Elvis Costello. Ein einsamer Lyriker, der gerne "oldschool-mäßig coole Postkarten" von seinen Touren schreibt, in denen er skurrile Momente und beeindruckende Menschen, denen er begegnet ist, beschreibt. "Oftmals suche ich mir irgendeine Adresse aus meinem Buch und schicke etwas Hahnebüchenes los. Manchmal erhalte ich auch eine Antwort", sagt er, und die Freude über diese altmodische Angewohnheit ist ihm anzumerken.

Sechs bis sieben Monate im Jahr ist er nicht in der Region, sondern tourt für durchschnittlich 130 bis 140 Konzerte durch Finnland, Spanien, Frankreich, die Slowakei und mehr. "Ich liebe es, auf Tour die Leute anders kennenzulernen, nie als klassischer Tourist", schwärmt der Gestalter. "Und wenn du in einem Punk-Schuppen in der hintersten Slowakei die Leute in ihrer Sprache abholst, dann erfüllt dich das mit Stolz. Es lässt dich wachsen."

Rückzug muss sein

In seiner Freizeit zieht sich Martti Mäkkelä meist im August drei Wochen lang zurück und pflegt sein Vagabunden-Dasein in großer Einsamkeit: Auf halber Strecke zwischen Lahti und Hämeenkoski verzieht er sich vor der trubeligen Welt in die finnische Einöde, ins Holzhaus seiner Großmutter. "Das ist die Landschaft meiner Kindheit, hier kann ich abschalten, habe endlich keine Verpflichtungen, dafür Inspiration."

Entweder, wenn es sich terminlich bei beiden ausgeht, weilt er dort mit seiner Freundin – die aus dem künstlerischen Tanz kommt und mit der er seit rund zehn Jahren zusammen ist – oder alleine. "Ich bin aber kein echter Outdoor-Typ, ich sammle eher Pilze beim Spaziergang oder gehe schwimmen." Ähnlich verhält es sich zuhause in der Metropolregion: "Manchmal fahren wir einfach raus aus der Stadt, in die Fränkische, ins Trubachtal – ich liebe es, vernünftiges fränkisches Bier zu trinken. Das ist für mich nach Rückkehr von einer Tour ein wichtiger Punkt."

In seiner Heimatstadt Fürth geht er gerne auf kleine Konzerte, auf die von seinen Kumpels und Mitstreitern bei Folk’s Worst Nightmare zum Beispiel. Hält sich gerne in der neuen Kneipe Boca in der Helmstraße oder in der Badstraße, im Kunstkeller o 27 auf. "Doch eigentlich bin ich froh, wenn ich einfach mal zu Hause bin", sagt Mäkkelä. Dann liest er "wahnsinnig viel – das geht schon in Richtung Abhängigkeit". Roman Noir und französische Kriminalromane wie die von Dominique Manotti. Denn die bildhafte, atmosphärische Sprache habe viel von einer Songstruktur.

Suche nach etwas Alternativem

Ansonsten findet man Mäkkelä in seiner Küche, für mindestens fünf Gäste kochend. "Tapas machen mir am meisten Spaß", erklärt er. Oder auf interdisziplinären Kunstveranstaltungen wie einem Konzert zur Vernissage. "Ich mag es, wenn sich die Richtungen gegenseitig etwas geben, ich mag Kanten und suche sie, alles andere ist so langweilig." Ein fester Termin ist für ihn alljährlich das Sommerfest der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg – wenn er nicht in Katalonien oder der finnischen Einöde weilt.

Auf seiner To-do-Liste hat der Halbfinne noch zwei große Lebensträume: Unbedingt möchte er ein Konzert von Blues-Punk-Rocker Nick Cave besuchen und auf einem Frachtschiff von Hamburg nach Neuseeland fahren. Auch das ist so eine kantige Idee: "Kein Entertainment, viel Ruhe." Da kann Martti Mäkkelä wieder ganz der Vagabund sein.

InfoMartti Mäkkelä ist am Sonntag, 19. Mai, um 20 Uhr beim Open-Mic-Abend Sing-In Loft in der Theaterkneipe des Gostner Hoftheaters Nürnberg als Moderator zu erleben.

Martti Mäkkelä heißt gebürtig Martti Trillitzsch – der Folk-Musiker, Inhaber von drei Plattenlabels, Musikverleger und Betreiber des einzigen finnischen Plattenladens südlich der Ostsee. Mäkkelä wurde am 15. Juni 1965 in Papua-Neuguinea als Sohn einer finnischen Mutter und eines deutschen Vaters (Englisch- und Wirtschaftslehrer) geboren. Mit 21 Jahren landete er in Fürth.

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