Spiel bis zur Trance

6.1.2014, 00:00 Uhr
Spiel bis zur Trance

© Martin Bartmann

Sie jazzen locker von der Leber weg, dass es eine Freude ist. Dieter Köhnlein bearbeitet das Piano mal funkig, mal melodisch, immer wieder setzt er rhythmische, dann wieder harmonische Akzente, nimmt die anderen Musiker mit kleinen Melodiefetzen bei der Hand oder schiebt sie mit kraftvollen Klangkaskaden vor sich her. Tobias Schöper und Norbert Emminger blasen in die Saxofone mit der trancehaften Besessenheit, die sich in jedem Ton ganz verliert, andererseits kontrollieren sie genau diese Emotionalität und setzen sie bewusst ein. Spannungsgeladen cool klingt das, weltgewandt und neugierig.

Yogo Pausch brilliert am Schlagwerk, flexibel, spaßig und mit den wildesten Kadenzen. Das hat so viel Drive, dass man kaum sitzen bleiben kann. Dann ist da die Schmetter-Trompete von Andrey Lobanov, der die Rhythmusgruppe abrupt auf fast null herunterfahren lässt, um mit seinem Instrument den Raum zwischen dem Nichts und dem reinen Groove auszuloten. Die Gitarre von Peter Pelzner ist mal flott wie ein Formel-Eins-Rennen, mal verhalten, dann plötzlich rockig röhrend.

Harald Weigel steuert einen Bass bei, der sich von der Hintergrund-Rolle befreit. Er zupft die Saiten, lässt sie gegen das Griffbrett schnellen, greift wilde Akkorde und arbeitet wie ein Besessener. Kommt Susanne Schönwiese mit ihrer ausdrucksstarken, an Klangfarben regenbogenreichen Stimme dazu, entstehen Mini-Panoramen. Die Künstler erzählen in Eigenkompositionen und seltenen, gut ausgewählten Stücken von Sommernächten, dem Rotlichtmilieu, einem Flirt, der reinen Weltsicht der Kinder und vielem mehr. Ein toller Einblick, der belegt, dass man bei diesen Dozenten in besten Händen ist.

Der Workshop stand ganz im Zeichen der Integration, dabei war das Niveau trotz oder gerade wegen des offenen Zugangs hoch. „Zwar verzichten wir bewusst auf ein Casting, jeder darf kommen. Trotzdem klappt es irgendwie immer“, sagt Robert Wagner, Leiter der Musikschule. Die Teilnehmer sind alt und jung, krank und gesund, stammen aus allen Schichten der Gesellschaft. So repräsentieren sie eine unglaubliche Bandbreite. „Unser großes Thema ist die Inklusion, also das gleichberechtigte Einbeziehen aller Menschen. Daher freut es mich ganz besonders, dass wir dieses Jahr zum ersten Mal einen Teilnehmer mit geistiger Behinderung von der Lebenshilfe dabei hatten“, berichtet Wagner.

Wie klingt es, wenn Musiker zusammenkommen, die sich zum ersten Mal auf der Bühne begegnen? Wie hört sich im Vergleich dazu eine Formation an, die seit Jahren zusammenspielt? Wie entsteht das Aufeinanderhören, wie wächst das blinde Vertrauen?

Zum Beispiel das seit über einem Jahrzehnt eingespielte Stefan Holweg-Trio, das am Tag nach dem Dozentenkonzert seinen Auftritt hatte: Während Holweg am Flügel einige Melodien ausprobiert, lauschen Hendrik Gosmann am Bass und Matthias Rosenbauer am Schlagzeug geduldig und versonnen. Nach zwei Minuten unterlegt Rosenbauer die Klaviermusik mit einem dichten und antreibenden Gespinst aus Zimbel- und Trommeltönen, das auf den ersten Eindruck so gar nicht zu dem entspannten Tastenspiel passen will. Und doch — der Takt treibt unerbittlich voran, und so langsam legt auch Stefan Holweg an Tempo zu.

Aber was ist denn das? Ist der Flügel verstimmt? Die hohen Saiten „singen“ ja, hat vielleicht jemand eine Zange zum Nachziehen? Nein, klärt uns Stefan Holweg später auf, die temporäre Verstimmung verdankt sich einem Effektgerät, der Flügel selbst ist vollkommen in Ordnung.

Beim zweiten Stück beginnen Bass und Schlagzeug, dann erst tritt Holwegs Klavierspiel hinzu. Es entfaltet sich aus einer simplen Melodie ein dahinmäandernder Strom mit Seitenarmen und Gegenströmungen, der trotz epischer Breite munter dahinfließt und — das scheint Holwegs Markenzeichen zu sein — zu keinem finalen Abschluss findet, sondern meistens kurz und schmerzlos abbricht.

Wie empfinden die Workshop-Teilnehmer das Konzert? „Hinsichtlich Absprache oder Virtuosität kann ich zwischen den beiden Konzerten keinen so großen Unterschied feststellen“, urteilt der Fürther Günter Deinlein. Der 60—Jährige spielt seit vierzig Jahren Gitarre („autodidaktisch und eher amateurmäßig“), seit zwei Jahren interessiert er sich für den Jazz. „Am Vortag sind ja auch viel mehr Instrumente zusammengekommen, das war ja auch interessanter; der Auftritt jetzt dagegen klingt eher minimalistisch.“

Auch die Finnin Lotta Jurica aus Helsinki ist sehr angetan. „Wenn es einen Unterschied gibt, dann stand beim Konzert gestern eher der Spielwitz im Vordergrund. Die Musiker gaben alles, und wenn man alles gibt, dann passiert schon mal ein falscher Ton oder ein Spielfehler. Heute haben wir dagegen eine sehr konzentrierte Atmosphäre, minimalistisch, aber stimmungsvoll. Man merkt, alle drei Instrumentalisten sind sehr darauf bedacht, dass sauber gespielt wird.“

Instrumental allein reicht nicht für den Abend. Als Gäste sangen Eva Kirsch und Seher Güleryüz mit ihren samtenen Altstimmen allein und zusammen von enttäuschter Liebe oder zogen sogar Rocksongs von Linkin Park in den Jazzkeller.
 

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