Spuren sind noch heute in Wilhermsdorf erkennbar

8.3.2015, 13:00 Uhr
Spuren sind noch heute in Wilhermsdorf erkennbar

© Foto: Wraneschitz

Gleich zu Beginn das beschämende Ende: Robert Hollenbacher zeigt ein Schreiben, datiert auf den 27. Dezember 1938, in dem der damalige Bürgermeister die Gemeinde Wilhermsdorf in kaltem Beamtendeutsch „judenfrei“ meldet. Damit war das jahrhundertelange jüdische Leben in der Landkreisgemeinde an der Zenn endgültig ausgelöscht.

Bereits wenige Wochen zuvor hatte die grassierende Judenfeindlichkeit hier ihren traurigen Höhepunkt erreicht: Nachts am 19. September zogen marodierende Jugendliche – Hollenbacher nennt sie an späterer Stelle „NS- Rowdys“ – durch den Ort, drangen in jüdische Häuser ein und misshandelten deren Bewohner. Am Tag darauf verließen deshalb die wenigen noch verbliebenen Juden fluchtartig den Ort. Vor allem von denjenigen, die schon früher gegangen waren, konnten sich viele noch ins Ausland absetzen. Wie Hollenbacher jedoch anhand einer Liste zeigt, wurden unzählige in Wilhermsdorf geborene Juden letztendlich brutal in Konzentrationslagern ermordet. „Dieser Ort ist judenrein“ verkündeten zur selben Zeit Schilder an den Ortseingängen.

Gerade einmal knapp 130 Jahre zuvor, im Jahr 1811, stellten die Juden in Wilhermsdorf noch ein Fünftel der Bevölkerung. Sie verdienten ihren Lebensunterhalt zumeist als Viehhändler oder Kaufleute, wobei insbesondere der Schmierölhandel florierte. „Da is gewiss der Schmierjud gestorben“ sei deshalb ein allgegenwärtiger Spruch gewesen, wenn Türen und Tore mal wieder geölt werden mussten, erzählt Hollenbacher.

Das Zusammenleben funktionierte seinen Worten nach „sehr gut“, die Wilhermsdorfer jüdischen Glaubens waren sowohl im Gemeinderat als auch in zahlreichen Vereinen aktiv. Nichtsdestotrotz lebten bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts deutlich weniger Juden im Ort, aufgrund der abnehmenden Bevölkerung musste 1923 die jüdische Schule geschlossen werden.

Die erste schriftliche Erwähnung einer jüdische Gemeinde in Wilhermsdorf datiert übrigens auf das Jahr 1568, schon damals soll es eine Synagoge gegeben haben. Diese wurde im Jahr 1893 durch einen Neubau ersetzt, der heute als Wohngebäude genutzt wird. Wer sich auf Spurensuche begeben mag, erkennt die Vergangenheit des Hauses an seinen lang gezogenen Fensterummauerungen über zwei Etagen. Eine Pinselfabrik sowie eine hebräische Druckerei zählen zu den weiteren Glanzlichtern des jüdischen Lebens an der Zenn. Beiden ist ihre weit über die Region hinausreichende Bedeutung gemeinsam: So wurden die Pinsel in 25 Länder exportiert, während die 1669 gegründete Druckerei zu einer der wichtigsten ihrer Art aufstieg. „Bemerkenswert in einem so kleinen Ort“, findet Hollenbacher.

Gleiches gilt für den jüdischen Friedhof, der nach seinen Worten „ein Thema für sich“ wäre. Seine rund 550 Gräber, verteilt auf 4000 Quadratmetern Fläche, wurden nicht erst während der Nazi-Zeit immer wieder geschändet, zuletzt in den Jahren 1933 und 1945. Außerdem überdauerten die Metallbuchstaben der Grabbeschriftung den Zweiten Weltkrieg nicht – der Grund: die damalige Rohstoffknappheit. Besonders interessant und heute noch zu sehen: In die Grabsteine eingemeißelte Verzierungen wie Blumen oder ein abgebrochener Baum. Letzterer weist zum Beispiel darauf hin, dass der begrabene Mensch einen frühen Tod erlitt.

Kritik an Gedenkstein

Im Anschluss an Hollenbachers Vortrag entwickelte sich unter den rund 20 Gästen eine lebhafte Debatte. Insbesondere die Frage, ob in Wilhermsdorf eine angemessene Aufarbeitung erfolgte, erregte die Gemüter. Schnell wurde Kritik an dem seit 2012 existierenden, offiziellen Gedenkstein der Gemeinde laut, mit dem zwar dem Leben und Wirken der Juden in Wilhermsdorf gedacht wird, jedoch die Zeit des Nationalsozialismus mit keiner Silbe Erwähnung findet.

Außerdem wurde nie bekannt, wer die „NS-Rowdys“ wirklich waren, allerdings war im Laufe der Diskussion zu hören, dass „die Alten es wissen“. Umso besser, wenn sich an diesem Abend der abschließende Wunsch des Montagskreis-Leiters Hans Klinner ein Stück weit erfüllt haben sollte: Die Schärfung des Bewusstseins für die Geschichte.

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