Stadttheater: Tauchfahrt ins Miteinander

2.11.2019, 15:00 Uhr
Stadttheater: Tauchfahrt ins Miteinander

© Foto: Hans-Joachim Winckler

Es war ein übereifriger Wasserkocher, der den Alarm auslöste. Feueralarm. Eine Sirene keift mit einer Dringlichkeit, als ob sich Drähte mit Widerhaken in dein Gehirn bohren. Ein quälendes Geräusch, ein jäher Fluchtreflex, nichts wie raus hier. Das war der Moment, in dem Kassandra Wedel supercool blieb.

Sie allein hatte die Ruhe weg. Dass die Probebühne des Stadttheaters in der Uferstadt rasch theatermenschenleer war, erschien ihr allerdings wundersam. "Und wir merkten erst im Hinausgehen, dass für Kassandra natürlich alles wie immer war," sagt Jochen Strodthoff. Wieder was dazugelernt.

Hörend kam Kassandra Wedel zur Welt, ein Autounfall mit vier Jahren machte alles still. Man muss es nicht gleich "Totenstille" nennen, so hieß ein Saarbrücken-"Tatort", in dem die inzwischen 35-jährige, in München lebende Hessin 2016 mitspielte. Annehmen darf man gleichwohl, dass das Leben der kleinen und nicht mehr ganz so kleinen Kassandra einige Hürden in den Weg stellte, die Welt da draußen kann unendlich brutal sein. Zwei Dolmetscher halfen ihr beim Studium der Theaterwissenschaften in München, im Viertelstundentakt wechselten sie in den Vorlesungen und Seminaren einander ab – Gebärdensprache, das schlaucht.

Und nun steht seit September eine gestandene Schauspielerin und Hip-Hop-Weltmeisterin vorm Inszenierungsteam des Stadttheaters und macht alle Staunen. "Ich wusste, ich muss das machen", sagt Regisseur Jochen Strodthoff über seine Arbeit an "Hinterm Haus der Wassermann". "Die Begegnung mit Kassandra", so der Münchner Regisseur und Schauspieler, "ist ein ganz besonderes Geschenk."

Inklusives Theater, ein Stück für Sprechende und nicht Sprechende, das hat ihn gereizt, das fixt hier alle an, das ist keine Ware von der Stange. Strodthoff: "Meine Wiener Urgroßeltern waren beide gehörlos, meine 102-jährige Oma spricht noch Gebärdensprache". Wobei die Premiere der Produktion an diesem Samstag beim "Miniaturen"-Festival im Kulturforum schon für Menschen ab vier Jahren geeignet ist.

1972 erschien Gudrun Pausewangs kleines wie bezauberndes Kinderbuch vom König, der keine Lust mehr aufs Regieren hat und mit seiner Tochter, der Prinzessin, ein heruntergewohntes Haus bezieht. Eine gehörlose Köchin kommt ins Spiel, ein wunderbar sensibler Wassermann, der zum Freund der Prinzessin wird, drei keifende, auf Konvention bedachte Tanten. Der Kunstgriff in Panja Rittwegers Dramatisierung des Stoffes: Erzählt wird das alles aus Sicht der Köchin. Und nein, das ist nicht die einzige Figur, die Kassandra Wedel spielt.

"Die Geschichte selbst", sagt Ausstatterin Angela Loewen, "ist letztlich Mittel zum Zweck. Tatsächlich geht es um Integration und Miteinander, um das Verstehen beider Welten, um das Prinzip Menschsein." Alles Gebärdete wird gesprochen, alles Gesprochene wird in Gebärdensprache übersetzt. "Diese Mischung für diese Zielgruppe gab es im Theater bisher noch nicht", sagt Strodthoff, der dem Fürther Haus 2017 eine sehr zu Herzen gehende Inszenierung bescherte mit "Simplicius Simplicissimus – der klügste Mensch im Facebook". Musik, live gespielt von Bettina Ostermeier, wird es geben, Tanz, Puppenspiel. Eine knappe Theaterstunde, die vielleicht zu vermitteln vermag, dass es keine "Wir"-Welt und "Die da"-Welt gibt, sondern nur eine gemeinsame. "Ich würde mir wünschen", sagt Jochen Strodthoff, "dass die Kinder nach der Aufführung zum Beispiel die Geste für ,König' kennen und neugierig sind, eine andere Sprache zu verstehen." Zum Aufwärmen sehr zu empfehlen: zwei Youtube-Teaser des Stadttheaters zu "Hinterm Haus der Wassermann" - fast ohne Worte.

"Hinterm Haus der Wassermann": Kulturforum, Großer Saal (Würzburger Straße 2), Premiere diesen Samstag, 16 Uhr. Weitere Termine: 3. (11 Uhr) und 4. (10 Uhr) November, 14. (15 Uhr), 15. (16 Uhr), 16. und 17. (jeweils 10 Uhr) Dezember. Karten gibt es in der Geschäftsstelle der Fürther Nachrichten, Malzböden, Schwabacher Straße 106, Tel. 2162777, an der Theaterkasse und im Kulturforum.

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