The Big Sleep Out: Obdachlos für eine Nacht

9.12.2019, 11:00 Uhr
The Big Sleep Out: Obdachlos für eine Nacht

© Foto: Markus Kohler

London, New York, Brisbane, Hongkong, Manila: In einigen der bekanntesten Städte der Welt haben Menschen in der Nacht zum Sonntag das eigene Bett gegen einen Schlafsack auf dem kalten Boden getauscht. Mit der Kampagne "The World’s Big Sleep Out" fordern sie mehr Hilfe für Obdachlose und sammeln Spenden.

Um maximale Aufmerksamkeit zu erregen, war mancherorts sogar ein Programm geboten und prominente Unterstützung. Schauspieler Will Smith etwa begeisterte die Demonstranten am New Yorker Times Square mit einer "Gute-Nacht-Geschichte" in Rap-Form, seine Kollegin Helen Mirren las am Trafalgar Square in London vor. Auch in Wacken, dem größten Schauplatz der Aktion in Deutschland, traten Musiker auf, daneben gab es Gesprächsrunden zum Thema Wohnungslosigkeit, Hilfsorganisationen stellten sich vor.

Ein viel kleineres, stilleres Nachtlager bereitete zur gleichen Zeit ein gutes Dutzend Aktivisten in der Fürther Waagstraße vor. Während Besucher der Altstadtweihnacht an ihnen vorbeischlendern, in Richtung der Kneipen in der Gustavstraße, legen sich Natasha Crickmore und ihre Mitstreiter die mitgebrachten Kartons und Isomatten zurecht, darauf Schlafsäcke und Decken. Heißen Tee und Suppe haben sie dabei, Baguette und Lebkuchen. Und zusätzliche Anziehsachen. Ein paar Freunde leisten anfangs noch Gesellschaft.

Natasha Crickmore hatte die Idee zu der Fürther Mahnwache. Die Kampagne "Big Sleep Out" nahm 2016 in ihrem Heimatland Schottland ihren Anfang. Die 36-Jährige, die in Nürnberg lebt, fand schnell Mitstreiter in der Fürther Seebrücke, in der sie sich für die Seenotrettung von Geflüchteten engagiert. Sich dafür einzusetzen, dass Menschen ein Zuhause haben, sei naheliegend, sagt Crickmore: "Die Menschen auf den Schiffen sind auch obdachlos." Sie hat selbst gesehen, was das bedeutet.

2016 half sie monatelang in einem Flüchtlingslager in Griechenland. Zudem hielt sie mehrere Wochen lang mit anderen Helfern auf der griechischen Insel Lesbos nachts Ausschau nach Schlauchbooten, vollbesetzt mit Flüchtlingen, die nicht schwimmen können. Entdeckten sie ein Boot, riefen sie die Küstenwache.

"Wir haben Glück"

Sie und die anderen wissen, dass sie Glück haben, nicht nur mit dem Wetter. "Vor zwei Tagen wäre es kälter gewesen", sagt Rainer Kristuf, Sprecher der Fürther Seebrücke, am späten Abend. "Wir sind ausgestattet für die Nacht, wir haben viele Sachen dabei. Und: Wir könnten jederzeit gehen." Auch können sie die Toilette des Welthauses benutzen. Obdachlosen geht es anders.

Nicht nur an Geflüchtete denkt die Gruppe. Auch an Menschen von hier. Obdachlosigkeit hat sich verändert in einer Zeit, in der bezahlbarer Wohnraum fehlt. Das Übergangsheim in der Oststraße, in dem die Stadt Wohnungslose unterbringt, ist für viele von ihnen zum Dauerquartier geworden.

Wie schutzlos wären sie?

Elf Männer und Frauen verbringen schließlich die Nacht vor dem Welthaus. Rainer Kristuf, 58 Jahre alt, tut kein Auge zu, er und ein junger Mann entscheiden sich, wach zu bleiben. Die anderen finden ein wenig Schlaf. Kristuf wird nachdenklich dabei: Wie schutzlos wären sie, wenn er auch schliefe?

Ihr sei der gleiche Gedanke durch den Kopf gegangen, sagt Natasha Crickmore gegen 6 Uhr, als alle ihre Schlafsäcke zusammenpacken. Die Gruppe erzählt von den vielen Nachtschwärmern, die an ihnen vorbeigelaufen sind. Man hört sie lachen oder fröhlich plaudern, erzählt eine junge Frau. Und man merkt, wenn sie über einen sprechen. Mit manchen kam man ins Gespräch, die meisten Reaktionen seien positiv gewesen.

Alle elf wissen, dass das durchgehend helle Licht der Laternen, der Lärm von Autos auf dem Kopfsteinpflaster "Luxusprobleme" waren. "Du musst Respekt haben vor den Leuten, die das jeden Tag machen, die keine andere Wahl haben", sagt Kristuf.

Die Seebrücke sammelt Spenden für die Fürther Bahnhofsmission und internationale Hilfsorganisationen: https://www.justgiving.com/fundraising/SeebruekeFuerthGegenObdachlosigkeit

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