Tod eines Schülers

25.3.2014, 11:26 Uhr
Tod eines Schülers

© Joachim Sobczyk

Jan Felix Chudarski, der alle Charaktere in „Sie nannten ihn Heini“ übernimmt, kommt völlig aufgewühlt und überdreht in seiner Hauptrolle Sven daher. Kein Wunder: Der 18-jährige Schüler war soeben auf der Beerdigung seines Klassenkameraden Karl-Heinz, genannt Kalli.

Im Gepäck hat er eine kleine Schatzkiste, ein Geschenk der Mutter des Verstorbenen. In der Truhe hatte Kalli sämtliche Erinnerungsstücke verstaut, die Sven veranlassen, ihre Freundschaft und die gemeinsame Jugend Revue passieren zu lassen.

Ziemlich schnell stellt sich heraus, dass Kalli ein beliebtes Opfer seiner Mitschüler war: Sie riefen ihm „Heini, ich mach dir Beini!“ hinterher, jagten den Jungen quer über den Pausenhof und zwangen ihn, Alkohol zu trinken. Denkt der Zuschauer am Anfang noch blauäugig, zumindest Sven würde hinter seinem Kumpel stehen, kommen rasch erste Zweifel auf. Svens ständige Gefühlswechsel — Euphorie beim Gedanken an gemeinsame Abenteuer im Wald und völliges Unverständnis über Kallis außergewöhnlichen Klamottengeschmack — zeigen einen jungen, unsicheren Mann, der nicht weiß, wohin er eigentlich gehört und wohin er eigentlich will.

Zehn Rollen

In zehn unterschiedliche Rollen schlüpft Schauspieler Chudarski. Er gibt etwa die nervige Klassenleiterin mit piepsiger Stimme, Kalli, unsicher und mit schlechter Körperhaltung, und dessen dauerhaft besoffenen, rundum abstoßenden Vater. Nicht zuletzt die Jungs, die Kalli immerzu triezen: der großspurige Anführer Kevin mit seinem dümmlichen Gefolge.

Am Ende des Monologs zieht Sven überrascht ein Aufnahmegerät aus der Schatzkiste. Zwischen lautem Rauschen und dem Geschrei von einigen Jungs hört man auch seine eigene Stimme heraus. Damit ist die Vermutung, die einen im Laufe des Abends beschlich, endgültig bestätigt: Sven hat Kalli in den vergangenen Jahren ebenfalls terrorisiert. Sven hatte alles, nur nicht Zivilcourage. Der Damm ist gebrochen, und der Schüler gesteht schluchzend alle Taten. Zuletzt hatten die jungen Männer in Kallis Thermoskanne heimlich Ecstasy gekippt. Die Droge zeigte ihre Wirkung, nachdem der Jugendliche in einen nahegelegenen Park gegangen war. Er flippte aus, sprang auf ein Brückengeländer, strauchelte und fiel. 20 Meter in die Tiefe.

Überschäumende Energie

Chudarski nimmt sein Publikum ohne Umschweife mit auf eine rasante Achterbahnfahrt. Er fällt in sämtliche Extreme: brüllt, lacht, wimmert — und das so plötzlich und unvorbereitet, dass einem beim Zuschauen fast übel wird. Mit überschäumender Energie krallt er sich die Anwesenden zu Beginn, bezieht sie in das Stück mit ein, um allesamt nach 45 Minuten wieder mit Haut und Haaren auszuspucken.

Zugegeben, allzu schwer hatte er es in der Kofferfabrik nicht: Der kuschelige Bühnenraum sorgt schon von Haus aus für die nötige Intensität. Den Erwachsenen hat es gefallen. Drängt sich nur zuletzt die Frage auf, ob ein durchschnittlicher 13-Jähriger der facettenreichen und komplexen Handlung tatsächlich zu 100 Prozent folgen kann. Wohl eher nicht.

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