Tod und Frieden

5.2.2016, 12:00 Uhr
Tod und Frieden

© Foto: Hans-Joachim Winckler

Kann man sich Albert Camus Anarchistenstück „Die Gerechten“ aus dem Jahr 1949 im Stadttheater Fürth vorstellen, umgeben vom Neobarock bourgeoisen Dekors? Ja, man kann. Wäre aber ein unfreiwillig komischer Verfremdungseffekt. Doch die Szenerie in einem echten kühlen Keller, einem wahren Rattenloch mit jahrhundertealtem Gemäuer, drückendem Tonnengewölbe und salpetrigen Ausblühungen an den Wänden, das ist der ideale Rahmen.

Und da sich Akteure wie Publikum in demselben Raum befinden, es keine erkennbare Schranke zwischen Bühne und Zuschauerraum gibt, wird das Publikum zum Komplizen. Diese Komplizenschaft, kombiniert mit der drückenden Raumatmosphäre, garantiert schon mal die halbe Miete für die Wirkung. Einen weiteren Effekt der Glaubwürdigkeit garantiert das jugendliche Alter sämtlicher Akteure aus dem Jungen Ensemble.

Das eigentliche Bühnenbild ist denkbar spartanisch eingerichtet: ein Sandsack fängt die härtesten Aggressionen auf, eine Matrjoschka, die russische Puppe in der Puppe, symbolisiert die Explosivtechnik, ein Heizlüfter sorgt für erträgliche Temperaturen, ein Laptop stellt den Kontakt zur Außenwelt her und dient zur Überwachung des Attentats. Diverse Löcher und Luftschächte im Gemäuer verstärken eher noch die Klaustrophobie.

Die Handlung hat Regisseur Johannes Beissel in die Gegenwart verlegt. Fünf Terroristen, die offenbar nur Teil einer größeren Bewegung sind, tüfteln einen Anschlag aus. Der „Großfürst“ ist nur der Deckname für eine nicht näher bezeichnete politische Prominenz, der Klassenfeind offenbar die Konzern- und Hochfinanz. Kurz vor der Aktion, bei der zwei Terroristen Bomben werfen sollen und ihr Leben riskieren, kommen Zweifel auf. Nicht etwa am Gelingen, sondern an jenem Leid der Unbeteiligten, das das Militär als Kollateralschaden bezeichnet. Die Akteure sind unterschiedlich motiviert: Boris (Dominique Marterstock) ist der kühle Kopf und Theoretiker, Stephan (Sascha Spähn) handelt aus unstillbarem Rachedurst, Janek (Tim Steinheimer) und Alex (Nikolaj Klinger) aus eher romantischem Idealismus, und allein Dora (Lilia Akchurina) beschleichen ernsthafte Zweifel.

Wortreicher Zwist

Das Attentat misslingt, der Anblick zweier Kinder im Zielfahrzeug lässt Janek versagen. Im Versteck kommt es zu einer wortreichen Auseinandersetzung. Ist es erlaubt, Kinder für ein höheres Ziel zu töten?

Jetzt prasseln die Argumente. Stephan ist dafür, die anderen dagegen, teils aus Gründen der Humanität, teils aus bloßem Kalkül. Denn eine Revolution, die über Kinderleichen geht, verliert ihre Ideale. Andererseits: Wie viele Kinder in der Dritten Welt sterben, wenn die Zielperson aufgrund zweier Kinder verschont wird?

Doch die Handlung eröffnet den Attentätern eine zweite Chance. Diesmal gelingt es, doch Janek wird verhaftet. Hier nun, nach zwei Dritteln der Handlung, vollzieht das Stück eine Kehrtwende, die auch das Publikum physisch mitvollziehen muss. Die Zuschauer drehen sich auf ihren Hockern um 180 Grad und betrachten die Rückwand des Kellers, ein Folterverlies, in welchem erst eine Verhörspezialistin (Franziska Schilmeier) Janek mit verdrehten Argumenten traktiert, dann die Witwe (Franziska Ulrich) des Opfers den Mörder nach seinen Motiven befragt und ihm sogar Gnade gewährt.

Hier offenbart sich die zeitlose Problematik des Werkes, das, was Camus an der griechischen Tragödie gefesselt haben mag. Nicht die Haltung gebiert die Tat, erst durch die Tat findet der Akteur zu seiner wahren Haltung. Hatten ihn zuvor noch Zweifel beschlichen, ist Janek jetzt, da er nur noch den Tod zu erwarten hat, bereit, für alles einzustehen. Und gerade seine absolute Passivität im Kerkerstuhl erhebt ihn an Tragik über seinen Gegenspieler Stephan, den Sascha Spähn als cholerischen Psychopathen spielt. Umso schlimmer für den besonnenen Janek, wenn ihm Gnade widerfährt: die Begnadigung ist die wahre Strafe, da er nun in den Augen seiner Mitverschwörer als Denunziant dasteht.

Geschundene Seele

Als Zutat Johannes Beissels begleitet die Aktionen der Akteure ein griechischer Chor in Gestalt eines verwirrten Mädchens (Madeline Hartig), das in einer Luke kauert und anfangs ununterbrochen Kinderlieder vor sich hin singt. Dieses Mädchen wird später Janek an den Verhörstuhl fesseln und am Ende das letzte Wort behalten. Es ist eine geschundene Kinderseele, gequält von der elterlichen Erziehung.

So wird der Aufstand gegen das „System“, gegen die halsstarrige gesellschaftliche Ordnung auf eine Rebellion gegen die leibhaftigen Eltern bzw. die Elterngeneration reduziert. Oder ist dies am Ende gar der psychologische Kern einer jeglichen Revolte? Zur Durchsetzung der persönlichen Ideale braucht es wohl zwangsläufig Vater- und Muttermord. Wenn nicht symbolisch, dann eben handgreiflich.

„Die Gerechten“: Goldener Schwan (Grüner Markt), ab 15 Jahren. Weitere Termine: 24.–27. Februar, jeweils 20 Uhr, warme Kleidung empfohlen. Karten (9/4,50 Euro) im FN-Ticket-Point (Rudolf-Breitscheid-Straße 19, Tel. 2 16 27 77).

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