Tragödie mit ungeklärter Ursache

13.6.2008, 00:00 Uhr
Tragödie mit ungeklärter Ursache

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Ein sanfter Sommerwind streicht durch das hohe Gras. Brombeersträucher blühen an der Böschung. Nichts erinnert am Bahnübergang bei Kagenhof an die Katastrophe von 1928. Vergessen ist sie nicht.

«Meine Eltern haben mir erzählt, wie sie nachts, kurz nach zwei Uhr, von einem lauten Schlag geweckt wurden», erinnert sich zum Beispiel Johann Gerstung aus Siegelsdorf. «Sie wussten sofort, dass etwas Schlimmes passiert ist und sind losgelaufen, um zu helfen.» Das ganze Dorf sei auf den Beinen gewesen, die Nachricht von dem Eisenbahnunglück verbreitete sich rasend schnell unter den Bewohnern.

Lok grub sich in die Erde

Bis heute ist nicht sicher geklärt, warum es zu der Katastrophe kam. Der Schnellzug D 47 München-Dortmund hatte sich planmäßig von Nürnberg aus auf den Weg Richtung Würzburg gemacht. Zwischen dem Kagenhofer Weg - damals gab es dort eine Überführung mit Schranken - und der Zennbrücke überschlug sich die Lok, eine S 3/6. Mit den ersten Waggons stürzte sie die Böschung hinab und grub sich - umgekehrt zur Fahrtrichtung - in die Erde.

Dem Heizer war es zuvor gelungen noch abzuspringen. Der Lokführer hatte keine Chance. Nur noch tot konnten auch 21 Fahrgäste geborgen werden. Zwei weitere starben in den nächsten Tagen. Mit zum Teil sehr schweren Verletzungen wurden 128 Menschen aus den Trümmern befreit. Hilfskräfte strömten von überall herbei.

Davon berichtet zum Beispiel die Chronik des Bayerischen Roten Kreuzes in Burgfarrnbach: «Schon um 3 Uhr 20 trafen die beiden Kolonnenärzte Dr. Fürst und Dr. Baum mit 6 Sanitätern, zehn Minuten später auch der Kolonnenführer Hufnagel mit 15 Mann auf einem Lastauto mit dem notwendigen Material an der Unglücksstelle ein.»

Weitere Sanitäter kommen mit dem Hilfszug beziehungsweise Fahrrädern an, so dass im ganzen 44 Mann tätig waren. Dankbar erwähnt die Chronik des BRK-Zuges auch die Arbeit der «wackeren Feuerwehrleute». Um 9 Uhr morgens waren alle Opfer aus den Wracks geborgen.

«Die Verletzten, von denen viele grauenhaft verwundet waren, wurden im Warteraum des Siegelsdorfer Bahnhofs versorgt», berichtet Johann Gerstung. Der 75-Jährige hat sich oft mit einer Bekannten unterhalten, die das Unglück als junges Mädchen miterlebte.

Von ihr hörte er auch, wie sehr die Katastrophe in der Folgezeit die Menschen bewegte: «Zeitungen in ganz Deutschland und der Rundfunk berichteten, zahlreiche Experten reisten an und versuchten zu ergründen, warum die Lok entgleist war.»

Fehlerhafter Gleisbau?

Wenige Tage zuvor hatte es in dem betroffenen Streckenabschnitt Gleisarbeiten unter der Leitung des Chefs der Bahnmeisterei Siegelsdorf gegeben. Natürlich wurde nun untersucht, ob dabei ein verhängnisvoller Fehler passiert war. Ob aber tatsächlich eine mögliche Gleissenkung die Ursache war, wurde niemals zweifelsfrei festgestellt.

Zu den Folgen jener Nacht gehörte für die Rot-Kreuz-Helfer aus Burgfarrnbach zum Beispiel im November 1928 die Investition in ein «Sanitätsauto, Typ Mercedes Benz, zum Preis von 4552 Mark».

Auch in der Chronik der Freiwilligen Feuerwehr Raindorf findet sich noch eine Notiz aus dem Protokoll, die berichtet, dass es eine von der «Reichsbahn gütigst gewährte Vergütung für die bei dem Eisenbahnunglück in Siegelsdorf geleistete Hilfe durch die hiesige Freiwillige Feuerwehr von 200 Mark» gab. Auch diese Finanzspritze floss später in neues Gerät, das half, den Unfällen, die die zunehmende Technisierung mit sich brachte, besser Herr zu werden.

Gedenken an die Opfer

Die Bilder vom Gedenken an die Opfer bei der ICE-Katastrophe von Eschede riefen jetzt auch bei Johann Gerstung wieder ins Gedächtnis, was sich damals in Siegelsdorf ereignete. Und er ist nicht allein mit der Überlegung, ob «es nicht richtig wäre, in entsprechender Weise an die Menschen zu erinnern, die hier ums Leben kamen».