Verrückt sind immer nur die anderen

22.9.2018, 18:31 Uhr
Verrückt sind immer nur die anderen

© Foto: Tim Händel

Lara Ermer, die kesse und erfolgreiche Poetry-Slammerin mit dem Lena-Meyer-Landrut-Charme, kündigte diesmal auch derbe Texte an und erforschte angesichts eines Tampon-Kaufs an der Supermarkt-Kasse ihre privaten Feuchtgebiete unter dem Titel "Erdbeerwoche". Ebenfalls witzig: die Leiden der jungen Psychologiestudentin, bei der jeder Small Talk zu einer Therapiesitzung wird ("Verrückt sind nur die anderen").

Dass Humor und Engagement ebenfalls zusammenpassen, bewies sie mit einem Demo-Gedicht gegen das neue bayerische Polizeiaufgabengesetz ("Sicherheit statt Recht auf Freiheit"). Der munteren Gustavstraßen-Bewohnerin und Demnächst-Kulturförderpreisträgerin wünscht man, dass sie den Sprung von der schnellen Pointe zum längeren Roman wagt; Bov Bjerg hat’s vorgemacht!

Etwas sperriger sind die Texte von Immanuel Reinschlüssel, der mit Elementen des Hörspiels und des Films arbeitet. Seine Geschichte über die verwirrte Großmutter, die ständig ein entsetzliches Klappern hört, erinnert fast ein wenig an den berühmten fünften Traum von Günter Eich. Die "Sinfonie der Schritte" im Treppenhaus eines Miet-Altbaus könnte die Vorlage für einen Kurzfilm sein.

Robert Segel, der mit Reinschlüssel seit zehn Jahren als Fürther Autorenduo "Die Schaffenskrise" veröffentlicht, stellte zehn garantiert neue und noch nie vor Publikum gelesene Miniaturen vor, die er mit der Überschrift "Sehnsuchtsszenen" versehen hat. Dabei geht es um kleine menschliche Schicksale: um einen Arbeiter, der jeden Tag an der Bushaltestelle seinen Tag beginnt ("So spät"), um eine junge Frau, die nach einer Abtreibung das Familienglück anderer neidisch beobachtet ("So unausgesprochen"), oder um den unbekannten Straßenmusikanten Dave Stewart, der in der Fußgängerzone von Stockholm hingebungsvoll "Fields Of Gold" von Sting interpretiert ("So golden").

Und weil ja 2018 ein Festjahr ist — vor 200 Jahren wurde Fürth eine "Stadt erster Klasse" — brachten alle drei Autoren einen Text über ihre Heimatstadt mit. Die Band Creedence Clearwater Revival hatte mal einen Song gemacht, in dem sie erzählte, immer in der Kleinstadt Lodi steckengeblieben zu sein. So ähnlich hörte sich das auch bei Ermer, Reinschlüssel und Segel an: Liebe, Sehnsucht und Hassliebe sind die bestimmenden Emotionen.

Am Ende schien unbeeindruckt der Halbmond über Fürth — und die nächsten Lesungen (etwa am 25. Oktober mit Ewald Arenz) müssen wohl drinnen stattfinden.

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