Was bleibt vom Ruhm?

21.4.2012, 10:00 Uhr
Was bleibt vom Ruhm?

© Hans-Joachim Winckler

Sie werden gesucht, gefunden, geehrt — und verschwinden gleich wieder. Für ein Wochenende sind sie in aller Munde, man lässt sie logieren, zeigt ihnen die Stadt. Sind dann aber Preisverleihung und Honneurs vorüber, verlassen die Geehrten mitunter noch am selben Tag der Feierlichkeiten Fürth. Seit 1996 wird die Auszeichnung im Namen des berühmtesten Literaten der Stadt vergeben. Von den bisherigen Preisträgern ist einer verstorben, die anderen sind mit unterschiedlichem Erfolg weiterhin produktiv. Ihre Werke gehören nach wie vor zu den bemerkenswertesten auf dem deutschen Büchermarkt. Ein Grund mehr nachzusehen, wo und wie sich die Autoren befinden.

Edgar Hilsenrath (1996): 88 Jahre ist der deutsch-jüdische Schriftsteller gerade geworden. Es ist ruhig um ihn, die letzten Fotos zeigen ihn als listig lächelnden, würdigen alten Mann, das Gesicht dicht bewachsen mit grauem Bart und dicken Koteletten, im Mund immer noch die Zigarette. Anlässlich seines Geburtstages am 2. April hat ein kleiner Verlag nochmals sein Buch „Fuck America“ herausgebracht, in dem sich Hilsenrath seinen eigenen, komisch-bösen Reim auf die Segnungen der westlichen Kultur macht. Im Dittrich Verlag ist das Gesamtwerk des Autors herausgekommen, darunter herausragend der frühe Roman „Der Nazi und der Friseur“. Dieses Buch, 1960 geschrieben, wurde von 25 deutschen Verlagen abgelehnt; erst nachdem es übersetzt im Ausland erschienen und hoch gelobt worden war, wurde man auch in der Heimat, die Hilsenrath 1938 verlassen musste und erst nach Flucht und KZ-Aufenthalt wieder betreten konnte, auf ihn aufmerksam.

Hilde Domin (1999): Die große alte Dame der deutschen Literatur, geboren 1909 als Jüdin in Köln, starb vor sechs Jahren in Heidelberg. Zu ihrem 100. Geburtstag erinnerten sich die Feuilletons noch einmal ausführlich an die Dichterin, deren Werk komplett im Fischer Verlag vorliegt. Michael Braun schrieb damals: „Hilde Domins Lieblingsvokabel war die Hoffnung. Wie Sisyphus, eine ihrer lyrischen Leitfiguren, hat sie die Lebens- und Schreiblasten immer wieder auf sich genommen und mit ,nie ermüdendem Atem‘ dazu aufgefordert, den Stein ,bergaufwärts‘ zu rollen. Auch und gerade wenn es ein Stein des Anstoßes ist.“

Dagmar Nick (2002): Sie ist vielleicht immer noch die Unbekannteste unter den Preisträgern. Dabei zählt die 1926 geborene Dichterin zu den interessantesten Lyrikerinnen deutscher Sprache. Eines ihrer letzten Bücher (2007) ging dabei ganz andere Wege: es war eine Hommage an ihre Lieblingsinsel Rhodos. „Ein ganz vortreffliches Buch. Kein Reiseführer üblicher Art, aber auch keine hymnischen Impressionen“, hieß es darüber in den Nürnberger Nachrichten.

Sten Nadolny (2004): Vielleicht der Preisträger, der sich am meisten mit der Stadt, die ihn ehrte, beschäftigt hat. Für seinen „Ullsteinroman“ über die aus Fürth stammende Zeitungs- und Verlags-Dynastie recherchierte er intensiv vor Ort und meinte später in einem Interview: „Ich bin in Fürth gut aufgenommen worden, man hat mir da sehr geholfen. Ich liebe alle Städte, in denen ich recherchiere, zumindest dauert es nicht lange, bis ich sie liebe.“ Sein bekanntestes Buch bleibt „Die Entdeckung der Langsamkeit“, demnächst erscheint der Roman „Weitlings Sommerfrische“.

Uwe Timm (2006): Er überraschte mit einem Geständnis. Keine Zeile habe er von Wassermann gelesen — bis man ihn von der Ehrung in Kenntnis setzte. Gleich aber machte Timm seine Hausaufgaben und meinte in seiner Dankesrede: Eine verantwortliche Solidarität mit den Armen im Land und in der Ferne anderer Länder, Freundlichkeit im Umgang miteinander und eine selbstkritische Gelassenheit, Hilfsbereitschaft wären ganz im Sinne Wassermanns. Timm empfahl eine gewisse Leichtigkeit und Selbstironie. Von ihm erschien zuletzt das literarische Lebens- und Gedankenspiel „Freitisch“.

Robert Schindel (2007): Der erste Österreicher unter den Preisträgern. Ohne Umschweife, etwa das Werk Wassermanns streifend, erzählte Schindel denn auch dankend für den Preis allein von seiner Stadt Wien; das freilich war ein garstig-liebevoller literarischer Ausflug in die Donau-Metropole: „Mein Wien ist ein nachblutender Witz. Es gibt keine witzigere Stadt als Wien, nicht einmal Tel Aviv. Der Witz dieser Stadt steigt die Wendeltreppe herauf, die im Inneren des Wienkörpers bis in nebelige Vorzeit hinunterführt, gedreht um eine nicht vorhandene Wirbelsäule, um durch die Goschen in Form eines melodiösen Rülpsers ins Tageslicht zu fahren, aber sofort wiederum im Gehorch der Wiener zu verschwinden.“ Auch die gerade erschienenen gesammelten Essays und Reden „Man ist viel zu früh jung“ sind eine erhellende, aufstachelnde und sprachlich ungemein lebendige Lektüre.

Roberto Schopflocher (2008): Der einzige gebürtige Fürther, der bislang den Preis erhielt. Von dem hier 1937 in eine jüdische Familie Geborenen, der vor den Nazis fliehen musste und seit 1937 in Argentinien lebt, sei „nur“ zitiert aus seinem jüngsten Buch, den Erinnerungen „Weit von wo“: „Wenn ich die Augen schließe, regen sich die ersten, durchaus beglückenden Kindheitseindrücke: Der süßliche Geruch des blühenden Flieders der Schrebergärten erreicht mich dann, der säuerliche Mief der Bierwirtschaften, die faulige Würze der frisch gedüngten Wiesen.“ Solche Passagen gehören zum Schönsten, was über die Stadt geschrieben wurde, es sind sehr sinnliche Reminiszenzen.

Feridun Zaimoglu (2010): Der türkischstämmige deutsche Schriftsteller schien auf den ersten Blick so gar nicht in die Riege der bisherigen Preisträger zu passen. Doch Laudator Oliver Jungen brachte Zaimoglu und Wassermann rasch zusammen, indem er bei beiden „das zutiefst humanistische Weltbild“ fand: „Gerade heute, wo die soziale Kälte salonfähig zu werden, wo die Gesellschaft ihren grundlegenden Konsens zu verlieren droht, wo zündelnde Politclowns, die nicht einen geraden Satz formulieren können, sich sogar die deutsche Sprache unter den Nagel zu reißen versuchen, brauchen wir Träumer wie diesen mitunter unbequemen, immer aber aufrechten, phantasievollen und formvollendeten Geschichtenerzähler mit der schönen Stimme, dem man so gerne zuhört.“ Zuletzt ist von ihm der Roman „Ruß“ erschienen.

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