Wegen Corona: Suchflugzeug von Sea-Watch kann nicht starten

30.3.2020, 06:00 Uhr
Wegen Corona: Suchflugzeug von Sea-Watch kann nicht starten

© Nora Boerding

Die Corona-Epidemie hält Flüchtende in Libyen nicht davon ab, in windige Schlauchboote zu steigen, um über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen. Der gebürtige Fürther Kai von Kotze engagiert sich beim Verein Sea-Watch. Er organisiert Rettungsflüge über dem Mittelmeer – doch die sind derzeit ausgesetzt. Im FN-Interview spricht er über die Suche nach der Nadel im Heuhaufen und den Zwiespalt, in dem er sich aktuell wegen der Corona-Krise befindet.

Herr von Kotze, können Sie derzeit wegen der Corona-Krise auf Rettungsmission gehen?

Wegen Corona: Suchflugzeug von Sea-Watch kann nicht starten

© Fabian Jung

Nein. Der Flugverkehr in Italien ist eingeschränkt, wir können die Crew nur sehr schwer nach Lampedusa bringen, von wo aus unser Flugzeug Moonbird startet. Wir müssen sehen, wie sich diese Corona-Geschichte weiterentwickelt. Wir versuchen derzeit alles, damit wir fliegen können, denn wir wissen, dass die Leute weiterhin von Libyen aus in Schlauchbooten auf dem Mittelmeer unterwegs sind. Wir wollen verhindern, dass keiner die Geflüchteten entdeckt und ein blinder Fleck entsteht. Wie es weitergeht, ist unvorhersehbar.

Flüchtende, die in Libyen feststecken, lassen sich von der Corona-Pandemie vermutlich nicht von ihrem Vorhaben abhalten, nach Europa zu gelangen.

Zurzeit ist vor Libyen schlechtes Wetter, mit hohen Wellen und viel Wind. Es fahren also weniger Leute als sonst los. Trotzdem wurden jüngst wieder Hunderte Menschen von der libyschen Küstenwache aufgegriffen und zurückgebracht. Die Flüchtlingszahlen gehen aktuell wegen des Wetters zurück, nicht wegen Corona. Das Virus ist den Menschen egal, denn die Zustände im Bürgerkriegsland Libyen sind katastrophal.

Wann waren Sie zuletzt im Einsatz?

Vor zwei Wochen. Unsere Crew umfasst vier Personen.

Wofür sind Sie zuständig?

Meine Aufgabe ist es, die Flüge zu koordinieren. Wann fliegen wir, wohin und wie? Ich schaue mir das Wetter an, wie hoch die Wellen sind und wie stark der Wind auf dem Meer bläst. Außerdem überprüfe ich, ob Schiffe unterwegs sind, die uns helfen könnten. Wir fliegen in Suchmustern, um einen gewissen Bereich abzudecken und kein Boot zu übersehen. Wir haben einen Piloten an Bord und jemanden, der die Medienarbeit macht. Die vierte Person nennt sich "Spotter". Sie konzentriert sich ausschließlich auf die Suche.

Was passiert, wenn der "Spotter" ein Boot entdeckt?

Dann informieren wir zuallererst die offiziellen Seenotrettungs-Leitstellen, die hier zuständig sind und schauen, ob private Rettungsschiffe vor Ort sind, um die Leute aufzunehmen. Im schlechteren Fall sind kommerzielle Schiffe da, die entweder nicht auf unsere Funksprüche antworten oder sich oft weigern die Menschen an Bord zu nehmen.

Warum tun sie das?

Sie haben Angst, dass sie vor den Häfen ausharren müssen, wenn die Geretteten nicht an Land dürfen. Das ist ein wirtschaftlicher Faktor für die kommerziellen Schiffe.

Aus der Luft ist Ihr Handlungsspielraum begrenzt. Was tun Sie, wenn sich kein Schiff bereit erklärt, die Menschen zu retten?

Das ist natürlich eine sehr schwierige Situation. Wir müssen zum Teil zuschauen, wie nichts gemacht wird. Wir versuchen so viel Druck auf die Schiffe auszuüben, dass die Leute gerettet werden. Jeder, der von Booten in Seenot weiß, muss sofort helfen, das regelt das Seerecht. Aber das ist in den letzten Jahren immer seltener der Fall. Viele Geflüchtete haben uns berichtet, dass sie zwei Tage auf dem Meer waren und Schiffe vorbei oder in die andere Richtung gefahren sind. Wir dokumentieren auch zunehmend Menschenrechtsverletzungen. Wir beobachten, dass die sogenannte libysche Küstenwache die Flüchtenden illegal zurück nach Libyen bringt. Das verstößt gegen die Menschenrechtskonvention, denn Libyen ist Kriegsland. Dort drohen Folter, Vergewaltigung und Zwangsarbeit.


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Wie fühlen Sie sich aktuell, wo Ihnen wegen der Corona-Krise die Hände gebunden sind?

Ich bin im Zwiespalt. Ich bin zwar hochmotiviert zu fliegen. Die aktuelle Situation müssen wir aber ernst nehmen, ich nutze sie, um durchzuatmen. Auf der anderen Seite sitze ich natürlich auf Kohlen. Die Leute werden sich weiterhin von Libyen aus auf den Weg nach Europa machen.

Wie viele Boote haben Sie seit Dezember 2018 – ihrem ersten Flug – erspäht?

Ich kann mich nur erinnern, dass es im September letzten Jahres und diesen Januar recht viele waren. Die Leute wollen raus aus Libyen. Wir finden nicht so viele Menschen wie in den Jahren 2016/17. Doch wir stellen schon fest, dass sich die Situation wegen des Kriegs und der unhaltbaren Zustände in Libyen zuspitzt.

Was Sie schildern, das klingt nach einem Kampf gegen Windmühlen.

Ja. Wenn ich über dem Mittelmeer unterwegs bin, wird mir stets bewusst, wie groß es ist. So wenig Schiffe sind auf so viel Blau unterwegs. Ich muss mir immer wieder vor Augen führen, dass wir einen Unterschied machen. Ohne uns würde manch ein Boot nicht gefunden. Wir haben seit dem Start der Moonbird-Flüge 2017 über 25 000 Menschen entdeckt. Unsere Missionen dauern pro Tag um die sieben Stunden, es hat zum Teil 40 Grad im Flugzeug und wir starren nur aufs Meer, um die Nadel im Heuhaufen zu finden.

Das klingt anstrengend. Trotzdem fehlt es Ihnen offenbar nicht an Motivation.

Im Sommer 2019 habe ich mein erstes Boot gefunden. Es hat mich ganz schön umgehauen, zu sehen, in welchen Nussschalen die Leute unterwegs sind. Wenn man sieht, wie unglaublich weit der Ozean ist und wie wenig Chancen die Geflüchteten haben, dann motiviert mich das, immer wieder zu fliegen. Die Menschen dürfen nicht alleine gelassen werden.

 

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