Zentimeter-Probleme

18.8.2013, 13:00 Uhr
Zentimeter-Probleme

© Kriesl

Fast täglich macht sich Johann Kittler auf den Weg, um etwas in der Stadt zu erledigen. Dann setzt er Hut und Sonnenbrille auf, nimmt seine Hündin Sissi an die Leine und fährt los. Kittler ist einer von elf Rollstuhlfahrern in der Marktgemeinde Roßtal. Auf seinen täglichen Fahrten hat er mit vielen Problemen zu kämpfen: Da wäre das Kopfsteinpflaster etwa rund ums Rathaus, das „unmöglich zu befahren“ ist. Auch steile Straßen, zu schmale Gehsteige und Bordsteinkanten würden ihn immer wieder in seiner Bewegungsfreiheit einschränken.

Stephan Beck, Behindertenbeauftragter des Landkreises Fürth, kennt solche Probleme nur zu gut. Geh- und Sehbehinderte wenden sich regelmäßig an ihn, um über bauliche Fehler und Engstellen zu klagen. Viele Gehwege seien für Rollstühle schlicht zu schmal, erklärt Beck. Vor allem bei Veranstaltungen, Kirchweihen oder Festen fehle es oft an behindertengerechten Toiletten.

„Dann ist die Inklusion, also die Eingliederung behinderter Mitbürger, nicht gelebt. Leider gibt es nicht nur Barrieren im Alltag, sondern auch immer noch in den Köpfen vieler Menschen“, so Stephan Beck.

Um Politiker und Bürger für dieses Thema zu sensibilisieren, bietet er Stadtführungen an. Auf seinen Rundgängen überprüft er öffentliche Gebäude, wie Rathaus und Schulen, aber auch Straßen und Gehwege auf Barrierefreiheit. Alles was er dafür braucht, ist ein Zollstock. Denn oft entscheiden Zentimeter, ob ein Rollstuhlfahrer aus eigener Kraft über eine Türschwelle fahren kann – oder ob er Hilfe benötigt.

„Eigentlich haben wir vieles behindertengerecht ausgebaut“, erklärt Bürgermeister Johann Völkl, der den Behindertenbeauftragten auf seinem Rundgang begleitet. „Aber wir sind auch offen für Verbesserungsvorschläge.“

Stephan Beck nimmt gleich zu Beginn den Eingang des Rathauses in Augenschein: Sind die Türen breit genug? Ist die Türschwelle flach? Wie steht es um den Behindertenparkplatz? Er legt Maß an und vergleicht die Zahlen mit den gesetzlichen Richtwerten. Es fehlen ein paar Zentimeter hier und da, an anderer Stelle sind es zu viele. Der Behindertenbeauftragte ist dennoch zufrieden: „Alles in allem sehr vorbildlich.“

Der Weg führt weiter über Kopfsteinpflaster in Richtung der Grundschule. Die Gummireifen des Rollstuhls verkanten sich immer wieder in den unebenen Steinen, die Truppe muss Zwischenstopps einlegen.

„Klar, so ein Belag sieht schön aus“, sagt Stephan Beck. „Er ist aber für Gehbehinderte und auch für Frauen mit Stöckelschuhen wirklich unpraktisch.“

Werner Schläger, Mitglied im Marktgemeinderat, bekommt das holprige Pflaster am eigenen Leib zu spüren: Er hat sich kurzerhand selbst in einen Rollstuhl gesetzt und fährt damit über die Straße. „Der Denkmalschutz befürwortet das Pflaster“, erklärt Schläger. „Aber eigentlich gehört das alles herausgerissen und durch Asphalt ersetzt.“

Weniger Schwierigkeiten gibt es an der Grundschule: Hier führt eine Rampe zum Haupteingang, die ein Rollstuhlfahrer bequem hinauf- und hinunterfahren kann. Solche Anbauten sind nicht nur wichtig, sondern auch gesetzlich vorgeschrieben. „Bauliche Anlagen, die öffentlich zugänglich sind, müssen barrierefrei sein“, zitiert Stephan Beck Artikel 48 der bayerischen Bauordnung. Diese Regel gilt ebenso für Straßen, öffentliche Wege und Beförderungsmittel wie Busse und Bahnen.

Auch wenn viele Gebäude mittlerweile nach diesen Vorgaben umgebaut werden – die Probleme stecken oft im Detail. Wie zum Beispiel an der Verkehrsinsel am Brückenweg, Ecke Wegbrückenstraße. Vier Zentimeter sind die Schwellen aus Granit hoch, die jeweils vor und nach der Überquerungshilfe angebracht sind – eine problematische Höhe für Rollstuhlfahrer, die auf der Straße stehen bleiben und wenden müssen. Auch Johann Kittler und seine Hündin Sissi entschieden sich kurzerhand dafür, die Straße an einer anderen Stelle zu überqueren. Den Rundgang musste Kittler dann aber doch noch vorzeitig abbrechen: Sein motorisierter Rollstuhl war mit der Steigung einer Seitenstraße schlichtweg überfordert.

Auch in Langenzenn war Beck auf Initiative des Seniorenbeirats unterwegs und stieß auf ähnliche Probleme. Gerne kommt er auf Einladung auch in andere Kommunen.

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