Zirndorf und die langen Schatten von Hoyerswerda

22.12.2017, 06:00 Uhr
Zirndorf und die langen Schatten von Hoyerswerda

© Foto: Sabine Rempe

Ein dicker Aktenordner liegt vor Klaus Übler, dicht an dicht gefüllt mit Zeitungsausschnitten und Notizen. Nicht, dass der 73-Jährige nachschlagen müsste – zu gut erinnert er sich noch an jene Zeit in den 90ern, in denen Ortsnamen in Deutschland wie Synonyme für Gewalt erschienen. "Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, Mölln, Solingen. 1991 begann eine regelrechte Serie von schrecklichen Taten, die von Hass gegen Ausländer motiviert waren", erinnert sich der aktive Mitstreiter der Zirndorfer Geschichtswerkstatt.

Häuser, in denen Familien aus Afrika oder Asien lebten, wurden damals in Brand gesetzt. Menschen starben in den Flammen. Schaulustige johlten. "In Zirndorf tauchten dann plötzlich Flugblätter auf, in denen von einem ,Greifkommando’ die Rede war, das zur Hatz auf ausländische Straftäter aufforderte", zitiert Übler einen FN-Bericht von 1993.

Im Jahr zuvor hatte es in einem anderen FN-Text bereits geheißen: "In Zirndorf droht die Stimmung langsam umzukippen." Nach 37 Jahren friedlichen Zusammenlebens mit dem "Sammellager für Asylbewerber" wachse in der Bevölkerung der Unmut, nicht zuletzt wegen der "chronischen Überlegung" der Unterkunft, die auf Grund der anhaltenden Zahl von Flüchtlingen wohl auch noch länger anhalten werde.

Die üblen Flugblätter, die in dieser Zeit in Zirndorf verteilt wurden, sorgten für Aufsehen: "Man fragte sich, wo bleibt der Aufstand der Anständigen?" Tatsächlich gab es sehr deutliche Reaktionen. Übler selbst organisierte federführend zum Beispiel einen Stafettenlauf mit, der von Zirndorf in die damalige Bundeshauptstadt Bonn führte. Dort wurde Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth eine "Zirndorfer Erklärung gegen Ausländerhass" übergeben.

Vor kurzem kam nun ein schmales Buch ("Tod an der Bibert") heraus, das jene Tage in einer sehr persönlichen Form mit erzählerischer Freiheit reflektiert. Übler hat es bearbeitet und kennt selbstverständlich den über 80-jährigen Autor, der als Pseudonym den Namen "Erich Zorn" gewählt hat. Und zornig, oder besser gesagt, zutiefst besorgt ist der Schreiber. "Ihn bewegt die aktuelle Entwicklung, die rechtes Gedankengut wieder hochspült, sehr."

Auf 122 Seiten erzählt "Erich Zorn" seinen privaten Blick auf "eine Zirndorf Geschichte". Es ist beileibe keine exakte Rückschau auf tatsächliche Ereignisse, doch wer damals dabei war, dem wird manches bekannt vorkommen. Bemerkenswert ist nicht nur die ebenso unumstößliche wie klare Haltung des Autors gegen jede Form von Ausländerhass, sondern auch der Blick auf eine private Lebenswelt.

Notiert sind ganz alltägliche Erlebnisse, die erstaunlich deutlich werden lassen, wie bösartige Gedanke ein Eigenleben entwickeln können und sich Läusen gleich, überall einnisten. Berührend ist vor allem ein kurzer Rückblick, in dem sich der Schreiber von "Tod an der Bibert" an den Bruder erinnert. Der sei während der NS-Diktatur von der SA nach einem grundlosen Verhör zusammengeschlagen worden: "Schlimm war vor allem, dass sich unter den SA-Männern einige Bekannte befanden. Mit ihnen hatte sein Bruder früher Fußball gespielt."

Fakten überprüft

"Ich habe nichts an der Geschichte verändert", sagt Klaus Übler. Seine Bearbeitung zielte nicht zuletzt darauf, reale Fakten zu überprüfen und den Bericht druckfertig zu machen. Komplett der Fantasie entsprungen ist übrigens das Ende des Textes, das allerdings für den dramatischen Titel sorgt.

Fragt sich aber doch, warum ein Mann, der noch nie etwas veröffentlicht hat, jetzt mit über 80 Jahren alles daran setzt, sein Werk drucken zu lassen und dafür sogar die Kosten trägt?

Klaus Übler hat darauf eine deutliche Antwort: "Als er zu mir kam und um etwas Unterstützung bei seinem Projekt bat, hat er gesagt: ,Es kann doch nicht sein, dass diese Ratten schon wieder da sind. . .’"

"Tod an der Bibert" von Erich Zorn, ISBN 9 783746 012360, Preis 7 Euro. Vorrätig zum Beispiel in der Bücherstube Zirndorf.

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