Zwischen Melancholie und Aufbegehren

29.6.2020, 17:15 Uhr
Zwischen Melancholie und Aufbegehren

© Foto: Hans-Joachim Winckler

Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben, wer auf Nummer sicher geht, den bestraft das Wetter. Am Samstagnachmittag dräuten schwere Wolken über Fürth, der Wetterbericht verhieß nichts Gutes, so beschlossen die Veranstalter, die Preisverleihung des "Antho?-Logisch!"-Wettbewerbs in den großen Saal des Kulturforums zu verlegen. Und als es so weit war, lachte die Sonne. Ätsch, drangekriegt!

Helden wie Achill, Odysseus, Siegfried und der rasende Roland haben im Eifer des Gefechts mit Zyklopen, Drachen und Kriegern bestimmt nicht aufs Wetter geachtet. Aber die Zeiten haben sich geändert. Nicht tatendurstige und todesverachtende Kerle stehen im Mittelpunkt des Interesses, sondern stille Alltagshelden, deren Taten nicht publik werden, aber still wirken und wie das biblische Senfkorn im Gemüt der Leser Wurzeln schlagen und aufgehen.

Die Jury des "Helden"-Wettbewerbs hatte ordentlich zu tun gehabt, sich durch die vielen Einsendungen zu lesen und sich schließlich auf die drei besten Kurzgeschichten zu einigen.

Jeder Beitrag wurde zuerst mit erläuternden Worten der Jurymitglieder (die Autoren Robert Segel und Immanuel Reinschlüssel sowie FN-Kulturredakteur Matthias Boll) gewürdigt, wobei die Juroren recht schnell zum Kern der Sache stießen: nicht die traditionelle Heldentat steht im Mittelpunkt, sondern eben das unspektakuläre Handeln auch in spektakulärer Krisensituation, oder die eher verhaltene Würdigung eines Helden, die gerade in ihrer Zurückgenommenheit Gänsehaut hervorruft.

"Auch ein Klaglied zu sein im Mund der Geliebten, ist herrlich", dichtet Friedrich Schiller in seiner "Nänie". Ein solches Klaglied stimmt Barbara Rieger mit "Verhinderte Helden. Vier Abschiede" an. Abschiede, die sich auf den Onkel, den Vater, den Ex-Freund und wohl auch auf den aktuellen Freund der Erzählerin beziehen. Ein eigentümliches Gefühl breitet sich aus, einer Frau, die sichtbar guter Hoffnung ist, beim Vortrag eines solch melancholischen Textes zuzuhören.

Hoffnung beschleicht auch die namenlose Heldin, die ein gewisser Herr Kogel ganz sachte aus ihrem Schneckenhaus hervorlockt. Die Autorin Manuela Bibrach versteht es, die Einsamkeit der Solipsisten zu beschreiben, die sich einbilden, mit der Gesellschaft einer Katze seelisch genug ausgelastet zu sein. Nun ist "Kogel" alles andere als ein Märchenprinz. Eher eine verwandte Seele? Auf jeden Fall einer, der die gleiche Erfahrung gemacht und das Tal der Tränen aufrecht durchschritten hat. Das erst verleiht seinen stillen Avancen ihre Glaubwürdigkeit.

Preisträgerin Nummer eins steuert mit "Im Klassenzimmer" die von der Handlung her spektakulärste Geschichte bei. Erst legt Verena Liebers anhand der Unterhaltungen zweier Lehrer über ein auffällig unauffälliges Mädchen die Lunte, dann zündet sie die Bombe, indem das Mädchen in einer Malstunde einen Tobsuchtsanfall erleidet und nur mit Mühe zu bändigen ist. Wer ist hier eigentlich der Held? Der Lehrer, der in der Krise kühlen Kopf behält? Der arme Bub, der Dresche bezieht, aber keine Klage erhebt? Oder doch das kleine Mädchen, das endlich allen aufgestauten Frust herauslässt und für einen Moment über sich hinauswächst? Verschiedene Sichtweisen, verschiedene Zugänge zu einer vieldeutigen Geschichte.

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