Aktion Seebrücke: Wird Gunzenhausen "Sicherer Hafen" für Geflüchtete?

30.11.2020, 17:07 Uhr
Aktion Seebrücke: Wird Gunzenhausen

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Sichere Häfen, das sind Kommunen, die sich mit Menschen auf der Flucht solidarisieren und neue staatliche Rettungsmissionen fordern. Wer sich der Aktion der Seebrücke anschließt, muss eine öffentliche Solidaritätserklärung abgeben und hat darüber hinaus die Wahl, sich auch den weiteren Forderungen des Vereins anzuschließen (siehe unten).

Warum es diese Sicheren Häfen überhaupt braucht, das machte Pfarrer Benedikt Wolff – und später auch SPD-Stadtrat Paul Pfeifer – eindringlich klar. Zunächst in Nürnberg und jetzt auch in Gunzenhausen hat der Dekanatsbeauftragte für Menschen mit Migrationshintergrund nach eigenen Worten viele Geschichten von Flüchtlingen erzählt bekommen. Und was er da hören musste habe ihn "schockiert". Diese Geschichten handeln von Tod, Gewalt und politischem Ermorden, berichtete Wolff. Dass diese "humanitäre Katastrophe" im Mittelmeer beendet werde, sei Christenpflicht.


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Die "Grenzschutzpolizei Frontex", konkretisierte es Paul Pfeifer später, schlage und schikaniere die Flüchtlinge und bringe sie illegal zurück. Die Geflüchteten wohnen nach seinen Worten "in Baracken im Wald", weil es kaum mehr Flüchtlingslager gebe. Die neuen Zelte in Lesbos hätten keinen Boden, die Menschen lebten schlicht "im Dreck". Lese man die Berichte von Hilfsorganisationen, "so kommt man ins Schaudern. Da werden täglich Frauen und Mädchen vergewaltigt, Kinder misshandelt. Es gilt das Faustrecht." Auf europäischem Boden "werden Menschen in unwürdigsten Bedingungen gehalten".

Geburtsstunde 2018

Aktion Seebrücke: Wird Gunzenhausen

© Foto: Marianne Natalis

Als das Seenotrettungsschiff "Lifeline" im Jahr 2018 mit 234 Menschen an Bord wochenlang im Mittelmeer kreuzte, weil sich kein Land bereit erklärte, die Flüchtlinge aufzunehmen, boten sieben Städte in Deutschland ihre Hilfe an. "Wir haben Platz", stellten Flensburg, Greifswald, Rostock und andere klar. Das war laut Wolff die Geburtsstunde der sicheren Häfen.

Mittlerweile liegt der nächste Sichere Hafen, nahm Priesmeier den Faden auf, nur 20 Kilometer entfernt in Weißenburg. Dort haben aufgrund einer Initiative von Pfarrer Joachim Piephans fünf Parteien einen Gemeinschaftsantrag im Stadtrat eingebracht und verabschiedet.

Solidarität ist das Mindeste

Diesem Vorbild könnte sich nun auch Gunzenhausen anschließen. Denn "wir können als Stadt zeigen, dass wir das politisch nicht mittragen wollen", appellierte Hannah Priesmeier, die in Leipzig Medizin studiert, an die Stadträte.

Auf uneingeschränkte Unterstützung stieß die 22-Jährige mit diesem Wunsch nicht nur bei der SPD-Fraktion, auch die Grünen sprachen sich geschlossen dafür aus, ein Signal zu setzen, wie es Fraktionsvorsitzender Herbert Gutmann formulierte. Solidarität zu zeigen sei das Mindeste. Und für Peter Reitmaier (Piraten) sind solche Initiativen nicht nur "Symbolpolitik", vielmehr könne man damit nach außen deutlich machen, dass man die Abschottungspolitik der EU und der Bundesregierung nicht mittragen wolle.


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Für Harald Romanowski (Freie Wähler) war das Anliegen löblich, aber eine "Suggestivfrage", auf die die Antwort eigentlich nur Ja sein könne. Das Problem sei aber doch, dass viele Städte bereits ein "massives Migrantenproblem" hätten. Und wie solle er Wohnungssuchenden in Gunzenhausen erklären, dass er Wohnungen für Flüchtlinge vorhalte und für sie nicht?

Nicht für alle ein Muss

Sein Fraktionsvorsitzender Dr. Werner Winter sprach von "ehrenwertem Engagement", sah aber rechtliche Probleme, sich klar gegen Abschiebungen auszusprechen. Er erinnerte auch daran, dass nicht alle Menschen Seenotrettung für ein Muss hielten und sprach sich dafür aus, die Ursachen der Flucht vor Ort zu bekämpfen.

Es sei "grundsätzlich ein Thema" gegen das niemand etwas sagen könne, meinte Arno Dernerth. Wie Winter plädierte der CSU-Stadtrat dafür, noch keinen Beschluss zu fassen und das weitere Vorgehen im Ratsausschuss zu besprechen.

Seinem Fraktionskollegen Friedrich Kolb sind bloße Solidaritätsadressen zu wenig. Wenn er einem Verein beitrete, dann wolle er auch dahinter stehen und diesen tatkräftig unterstützen. Und das "sehe ich hier nicht". Dass die Stadt in Notsituationen helfe, das habe sie 2015 mit dem Bau der Halle – in der Industriestraße sollten damals Flüchtlinge untergebracht werden, dazu kam es aber nie – hinreichend bewiesen. Gunzenhausen tue ja auch viel für das Klima, ohne Mitglied im Klimabündnis zu sein. Kolb sprach sich ebenfalls dafür aus, zunächst in den nächsten Wochen "in medias res" zu gehen und zu sehen, ob da auch etwas erreicht werde könne.

Die Würde des Menschen

Nur eine Deklaration wollte auch Werner Falk (FDP) unterzeichnen. Die Stadt sei mit der Flüchtlingshilfe Wald schon aktiv gewesen, als andere Städte noch zugesehen hätten. Hier habe sich Gunzenhausen "nichts vorzuwerfen".

Es gehe nicht um eine allgemeine Erklärung, sondern um ein "Signal nach außen", erwiderte daraufhin Peter Schnell (Grüne). Er erinnerte an Artikel 1 des Grundgesetzes. Der gelte ja wohl nicht nur für Inländer, sondern für alle Menschen. Zudem stehe es der Stadt ja offen, der Solidaritätsbekundung konkrete Handlungen folgen zu lassen. Nachdem die westliche Welt die Staaten in Afrika jahrhundertelang ausgebeutet und dortige Strukturen zerstört habe, sei die Aufnahme von Flüchtlingen "unsere Menschenpflicht".

Bürgermeister Karl-Heinz Fitz, der auch auf die konkrete Hilfe verwies, die Gunzenhausen beispielsweise 2015 geleistet habe, ist es wichtig, dass "wir Taten folgen lassen". Ganz konkret schwebt ihm dabei der Punkt vor, in dem sich sichere Häfen dazu bereit erklären, geflüchteten Menschen ein gutes und sicheres Leben, ein "Ankommen" in der Kommune zu gewähren. Die Mindestanforderung allein, "ist mir zu wenig", erklärte Fitz.

Die Fraktionen haben nun Zeit, eine Position zum Sicheren Hafen zu finden. Dann soll das Thema erneut auf die Tagesordnung kommen.


Die Forderungen der Aktion Sicherer Hafen

Die Aktion Sicherer Hafen wurde von der Seebrücke ins Leben gerufen. Kommunen, die sich ihr anschließen, erklären sich verbindlich mit Menschen auf der Flucht, der Seenotrettung und den Zielen der Seebrücke solidarisch. Dieser Passus ist verbindlich, allen anderen Forderungen der Seebrücke können sich die Kommunen anschließen, müssen dies aber nicht tun.

Dazu gehören unter anderem, dass sich die Sicheren Häfen für sichere Fluchtwege und ein Ende der EU-Abschottungspolitik einsetzen. Sie können sich öffentlich gegen die Kriminalisierung der zivilen Seenotrettung positionieren und diese aktiv unterstützen, etwa durch Patenschaften oder finanziell.

Ein Punkt, der Engagement vor Ort erfordert, ist das kommunale Ankommen und Bleiben. Entscheiden sich Städte für diesen Punkt, heißt das, dass sie für eine menschenwürdige Versorgung in den Bereichen Wohnen, Gesundheit und Bildung sorgen sowie gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen wollen.

Optional ist auch, dass sich die Städte bereit erklären, Geflüchtete über den sogenannten Königsteiner Schlüssel hinaus aufzunehmen. Noch allerdings wird die Verteilung zentral geregelt, die Kommunen haben hier kein Mitspracherecht.

Weitere Informationen zur Aktion Sicherer Hafen finden sich auf der Homepage der Seebrücke.

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