Als das Fahrrad nach Gunzenhausen kam

9.6.2017, 17:30 Uhr
Die Mitgliedern des Arbeiter-Radfahrvereins "Solidarität" stellten sich Anfang der 1920er zu diesem Bild.

© Stadtarchiv Gunzenhausen Die Mitgliedern des Arbeiter-Radfahrvereins "Solidarität" stellten sich Anfang der 1920er zu diesem Bild.

Heute ist eine Welt ohne dieses praktische, individuelle Fortbewegungsmittel kaum mehr vorstellbar, doch zunächst war es eher für Belustigungen auf Volksfesten gut. So kündigte sich für die Gunzenhäuser Kirchweih im Jahr 1879 ein "Amerikanischer Velociped-Caroussel-Circus" per Zeitungsinserat an. Um 1910 wurde auf dem Schießwasen ein "Velodrom" aufgebaut, was nichts anderes war als ein Karussell mit lauter Fahrrädern.

Doch schon kurz nach dem amerikanischen Fahrradzirkus fand sich 1885 eine erste Anzeige in der Heimatzeitung. Ein Münchner Geschäftsmannpries "Velocipeds aus den renommierten Fabriken Englands" an. "Englische Bicyclettes" mit Kugelkopfsteuerung inserierte nur vier Jahre später der Gunzenhäuser Karl Rathgeber im Anzeigenblatt, dem Vorläufer des Altmühl-Boten, und ab da ging es Schlag auf Schlag.

Schnell gründeten sich die ersten Radfahrvereine, allen voran der "Radfahrerclub Gunzenhausen", der im Mai 1898 aus der Taufe gehoben wurde und bis etwa 1935 aktiv war. Ein Jahr später kam der "Radfahrclub Franken" dazu, auch der TV Gunzenhausen erkannte die Bedeutung des Velocipeds für den Breitensport und suchte per Zeitungsanzeige Interessierte, die eine Radfahrerriege gründen wollten. Inwieweit daraus etwas wurde, darüber war im Stadtarchiv nichts zu finden. Auch die Arbeiter in der Altmühlstadt entdeckten das Radfahren für sich. Sie organisierten sich im Radfahrerverein "Solidarität", der 1921 gegründet wurde.

Der Gunzenhäuser Stadtmagistrat betrachtete das neumodische Gefährt wohl eher unter dem Aspekt des Verkehrshindernisses, er erließ am 21. Mai 1892 eine "Veloziped-Fahrordnung", mit der er die Radler in enge Schranken wies. So war das Radfahren nur in bestimmten Straßen, unter anderem in der Nürnberger, Bahnhof-, Burgstall-, Gerber- und der Weißenburger Straße, erlaubt. Auch über die Altmühlbrücke durften sich die Bürger per Veloziped bewegen. Auf Fußwegen war das allerdings untersagt. Paragraf drei regelt, dass des Fahrens unkundige Personen sich in der Stadt nicht mit dem Rad fortbewegen dürfen.

Die Fahrräder mussten mit einer Art Nummernschild, das sie sich zum Selbstkostenpreis bei der Polizeibehörde abholen konnten, ausgerüstet sein und benötigten ganz unbedingt eine Laterne. Die wurden beispielsweise von Georg Beyer, der gegen Ende des 19. Jahrhunderts begann, massiv für seine "größte Fahrradwerkstatt" in Gunzenhausen zu werben, angeboten. Er verkaufte die "Acetylengas-Fahrrad-Laternen" für "blos 13 Mark".

Das erste Foto mit Fahrrad, das Stadtarchivar Werner Mühlhäußer in seinem Fundus hat, stammt aus dem Jahr 1883. Der Sohn des Hoteliers Gundel ist darauf mit seinem Velociped abgebildet. Das fuhr, wie man deutlich sieht, damals noch auf blankem Metall. Das Bild entstand im Atelier des Hobbyfotografen Fettinger, dem Müller der Scheupeleinsmühle.

Um die Jahrhundertwende hatte sich die Gummibereifung durchgesetzt, damit wurde das Rad endgültig als Sportgerät populär. In Gunzenhausen richtete der neue Radfahrerclub im August 1898 ein Radwettfahren — dem noch viele folgen sollten — aus. Der Verein kündigte die Veranstaltung mit einer eigens dafür entworfenen Postkarte an. Als Rahmenprogramm lockten ein Konzert, Tanz, Frühschoppen und ein Fahrradkorso durch die Stadt. Die Rennstrecken waren vier beziehungsweise acht Kilometer lang. Der Sieg über die lange Distanz ging an einen Augsburger, auf dem zweiten Platz landete allerdings Clubmitglied Georg Wolf, der in der heimischen Radsportszene eine feste Größe war und sich auch bei auswärtigen Rennen immer wieder hervortat. So sicherte er sich im selben Jahr in Neumarkt ebenfalls den zweiten Platz. Der Schlungenhöfer hatte ein Faible für Räder und Maschinen. Er gründete die Maschinenfabrik Wolf, die es durchaus zu einigem Renommee brachte.

Das neues Verkehrsmittel stellte leider auch eine bis dahin nicht gekannte Gefahr dar. Die Unfallberichte im Anzeigenblatt sprechen eine deutliche Sprache. Noch recht harmlos war der Vorfall im November 1897 mit dem ländlichen Hochradfahrer, der "mit einer Zigarre im Schnabel" in die Stadt einfuhr, "alle Fußgänger mit Verachtung strafend". Doch offensichtlich hatte er dem guten Gerstensaft zu sehr zugesprochen, denn er verlor das Gleichgewicht und "da lag er auch schon", war im Anzeigenblatt zu lesen.

Nur wenige Wochen später ereignete sich in der Nähe der Scheupeleinsmühle ein wesentlich schwerwiegenderer Unfall. Der Fahrradmechaniker und -händler Georg Beyer war zusammen mit dem Gastwirt Georg Gutmann auf einem Tandem unterwegs. Die beiden überfuhren die Brotausträgerin Babett Hübner, die seitdem laut Zeitungsbericht "schwer krank" darniederlag.

Im Sommer 1898 geriet das Kind des Drechslermeisters Max Sprinzing unter das Gefährt eines "hiesigen Radfahrers", der "übermäßig schnell" unterwegs war. Vielleicht waren solche Unfälle ja der Grund, warum eine Zeitlang bei Radrennen nicht nur derjenige gesucht wurde, der am schnellsten ins Ziel kam, sondern auch derjenige, der eine Strecke am langsamsten zurücklegen konnte.

Alle Informationen stammen aus dem Archiv der Stadt Gunzenhausen und wurden von Stadtarchivar Werner Mühlhäußer zusammengetragen.

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